Der erste Türke, den ich in meinem Leben kennengelernt habe, war “Mommet”. Er war Matrose auf dem Schiff, auf dem mein Vater als Steuermann zur See fuhr. Eigentlich hieß er “Mahmut”, wie ich irgendwann mal auf einem Lottoschein gesehen habe, den ich für ihn abgeben sollte, als wir in Bremen, Hamburg, Kiel oder sonstwo im Hafen lagen.
Aber auf See ist es oft windig und laut, und wenn man dem Matrosen, der gerade am anderen Ende des Schiffes irgendwelche Arbeiten verrichtete, etwas zurufen wollte, musste man sich erstmal bemerkbar machen, damit er einen hörte, und darum nannten ihn alle an Bord immer nur “Mommet!”, das ließ sich besser brüllen.
Apropos brüllen: Wenn er mit an Land kam, rief er immer aus der Telefonzelle bei seiner Familie an und bölkte dabei so laut in den Telefonhörer, dass die Leute, die daran vorbeigingen, sich jedes Mal umdrehten und manchmal Bemerkungen machten, warum er überhaupt ein Telefon benutzen würde, mit dem Gebrülle müsste man ihn auch so in der Türkei hören können. Währenddessen steckte er fortwährend ein 5-Mark-Stück nach dem anderen in den Münzapparat.
Meistens blieb er aber an Bord, weil dort beim Laden oder Löschen angepackt werden musste, und weil ich in meinen Ferien war und somit im Grunde tun und lassen konnte, was ich wollte, zog es mich, meistens zu Fuß, manchmal auch auf meinem mitgebrachten Fahrrad, in die Innenstadt. Die Mannschaft gab mir in der Regel etwas Geld mit, von dem ich ein paar Besorgungen machen sollte. Für meinen Vater eine BILD, manchmal Zigaretten und für Mahmut eine Hürriyet.
Das Wechselgeld durfte ich dann immer “behalten, behalten!” Mahmut sprach ziemlich schlecht deutsch, und zur Sicherheit hat er einfach immer alles zweimal gesagt, falls man ihn beim ersten Mal nicht verstanden hatte.
Das Wort “Moslem” hat damals praktisch niemand benutzt. Mahmut war Türke und damit hatte es sich auch schon. Warum er kein Schweinefleisch isst, hat nie jemand hinterfragt, das war eben so, dafür hatte er seine eigene Wurst dabei, die aber immer in einer separaten Plastiktüte im Kühlschrank aufbewahrt wurde, damit nicht alles andere darin nach Knoblauch roch.
Das Schiff war ein Küstenmotorschiff, und wir fuhren meistens zwischen England, Skandinavien und Deutschland hin und her, so dass wir uns manchmal mitten auf der Nord- oder Ostsee befanden und bis zum Horizont nur Wasser zu sehen war. Dann kam Mahmut manchmal hoch auf die Brücke, fragte, wo gerade Osten sei, und ging wieder hinunter in seine Kammer.
“Damit er weiß, in welche Richtung er beten muss,” erklärte mir mein Vater, als sei es das Normalste auf der Welt.
Was es aus unserer Sicht irgendwie auch war. Schließlich wurde in unserer Familie ohnehin nie gebetet, weder nach Osten noch sonstwohin. Was sollte es da für eine Rolle spielen, in welche Himmelsrichtung das jemand machte.
Großartiger Text und famoses! Man muss das echt machen jetzt. Nicht einfach nur sagen, man sei gegen etwas (und sei es die Dummheit der anderen), man muss jetzt an daran erinnern, was gut und richtig ist und was selbstverständlich sein sollte.
“famoses Photo” sollte das im ersten Satz latürnich heißen.
Danke. :-)
So einfach sollte es auch weiterhin bleiben und ich finde es großartig, dass es genug Leute in meiner Gegenwart gibt, die es auch tun.