Hörbücher

Ich habe das Audible-Probeabo wieder gekündigt.

Zugegeben: An der Stelle auf dem Smartphone weiter zu hören, an der man auf dem Kindle aufgehört hat zu lesen (und umgekehrt) ist technisch wirklich interessant und funktioniert sogar ziemlich gut.

Aber irgendwie sind Hörbücher doch nichts für mich. Ein Beispiel: Jeder Roman hat hin und wieder weniger spannende Passagen. Ich will sie nicht unbedingt “langweilig” nennen, aber manch Umwelt- oder Charakterbeschreibung hätte genauso gut um ein Drittel gekürzt werden können.

Das ist für einen einigermaßen geübten Leser kein Problem. Solche Stellen überlese ich guten Gewissens und erkenne relativ sicher den Punkt, an dem es wieder interessant wird. Beim Hörbuch bin ich an das Erzähltempo des Sprechers gebunden und. muss. mir. das. alles. in. voller. Länge. anhören. Mich nervt das.

Umgekehrt jedoch: Bin ich gerade in einer lauten oder hektischen Umgebung unterwegs, und das Hörbuch wird gerade jetzt spannend, kann ich erstmal nur auf Pause drücken, weil ich sonst Gefahr laufe, entweder die Hälfte zu verpassen oder vom Bus überfahren zu werden.

Und letzten Endes ist es der persönliche Eindruck, dass allein die Möglichkeit, unterwegs Romane zu hören, bei mir einen Druck erzeugt, dass ich die Geschichten jetzt gefälligst auch wegzukonsumieren habe, bezahlt ist bezahlt, und es ist ja so schön praktisch, zeitsparend, und wenn ich das Buch immer schön weiter bis zum Ende höre, kann ich gleich das nächste weiterhören, auch wenn ich zum Lesen eigentlich gerade gar keine Zeit habe.

Ich will beim Lesen aber gar nicht Zeit sparen. Im Gegenteil.

Ich will Bücher lesen, nicht Bücher gelesen haben.

Bahnhofsjubiläum

Am schönsten fand ich heute am Hamelner Bahnhofsjubiläum die Installation der Bundespolizei, bei der alle 90 Sekunden eine elektromechanische Vorrichtung dafür sorgte, dass eine Plastikfigur einen Güterwaggon hochkletterte, es einmal kurz flackerte, um einen tödlichen Stromschlag zu simulieren, dann die Polizeisirene losging, was wiederum die danebenstehende Bundespolizistin immer und immer wieder den ebenfalls danebenstehenden Kindern erklären musste, obwohl man ihr ansah, dass sie eigentlich viel lieber zur Waffe greifen wollte, um entweder sich selbst oder diesem traurigen Schauspiel ein Ende zu setzen.

Besorg dir ein Rad

Ok, ich bin da mittlerweile ja etwas voreingenommen, aber in dieser Episode von “Last Week Tonight” geht es um Wucherkredite beim Autokauf, schlimme Sache, keine Frage, vor allem, wenn daraus ein Geschäftsmodell entwickelt wird, das darauf aus ist, bereits verschuldete Menschen, die auf ein Auto angewiesen sind, weiter in die Schuldenfalle zu treiben.

Hier hat man jedoch meines Erachtens ein schlechtes Beispiel gewählt.

Denn es wird u.a. eine Frau portraitiert (ab Minute 0:56), deren Notwendigkeit, ein Auto zu besitzen, mit ihrem Weg zur Arbeit begründet wird.

Für diesen brauche sie ihren Angaben zufolge mit öffentlichen Verkehrsmitteln 1,5 bis 2 Stunden, was in der Tat sehr lang ist. Im Video führt sie nun an, dass dieser Weg mit dem Auto lediglich 10 bis 15 Minuten dauern würde.

Ich hab das mal mit Google Maps nachvollzogen, und weil ich mich in den USA nicht so auskenne, habe ich das mit verschiedenen Städten gemacht. Ich gehe dabei davon aus, dass sie nicht direkt an einem Highway wohnt und arbeitet, immerhin wird sie als “Day Care Worker” untertitelt.

Eine Strecke, die mit dem Auto 10 Minuten dauert, ist selten länger als 10 Kilometer. In deutschen Städten sieht das übrigens nicht anders aus. Ihr Weg zur Arbeit wäre also mit dem Fahrrad wahrscheinlich in 30, maximal 40 Minuten zu bewältigen.

Nun ist die Frau im Video deutlich übergewichtig, kann aber offenbar immer noch zu Fuß gehen. Nichtsdestotrotz wäre sie wahrscheinlich eher unterdurchschnittlich schnell auf dem Rad unterwegs. Aber selbst, wenn sie nur 10 km/h zustande brächte, wäre sie immer noch in 60 Minuten an ihrem Arbeitsplatz, nach etwas Training sicherlich sogar früher.

Wenn sie also jeden Tag in Kauf nimmt, 90 oder sogar 120 Minuten in öffentlichen Verkehrsmitteln zu sitzen, obwohl sie die Strecke stattdessen in maximal einer Stunde schaffen könnte:

Warum besorgt sie sich nicht ein Fahrrad?

Denken wie du

Neulich entschloss ich mich nach Feierabend noch zu einer Runde mit dem Rennrad, nichts allzu Anstrengendes, ohne Berge, gemäßigtes Tempo – immerhin sind draußen 34° C im Schatten, und man muss es ja nicht übertreiben.

Auf dem letzten Drittel der Strecke sehe ich vor mir einen jungen Mann in Fußballtrikot und kurzer Hose neben seinem Fahrrad an der Bundesstraße stehen.

„Ah, Flüchtling,“ denke ich, frage mich aber direkt im Anschluss, woher ich das weiß. Es könnte ja auch ein Ortsansässiger mit türkischer oder arabischer Herkunft sein.

Aber irgendwie erkennt man die Flüchtlinge ja doch. Nicht, dass ich ein Modeexperte wäre, aber die Kleidung, die sie tragen, ist immer ein wenig am Trend vorbei, dazu der Umstand, dass sie auf meist etwas klapprigen Fahrrädern unterwegs sind. Für junge Türken oder Araber in diesem Alter: Ein absolutes No-Go.

Apropos Mode: Ich sehe – wie die meisten Rennradfahrer – auch diesmal wieder vollkommen bescheuert aus. Anliegendes, buntes Trikot, affiger Helm, hautenge Hose, 3/4-Handschuhe, leicht getönte Schutzbrille. Alter Mann in Funktionskleidung eben, aber um die Optik geht‘s ja nicht.

„Alles ok?“ frage ich und halte an.

„Hast du Luftpumpe?“ fragt er zurück, und tatsächlich habe ich eine kleine Mini-Pumpe dabei.

„Habe ich“, sage ich, steige ab, sorgsam bedacht, nicht mit den Klickpedalschuhen hängenzubleiben und mich durch stumpfes Umkippen komplett zum Affen zu machen. Ich lehne mein Rad gegen einen Leitpfosten und stakse mit meinen Radschuhen zu seinem havarierten Fahrrad.

Nach wenigen Pumpstößen merke ich schon: Das wird nichts. Die soeben hineingepumpte Luft entweicht hörbar.

„Muss ich tauschen? Ist teuer?“

Hm, was ist für jemanden in seiner Situation teuer? Ich wiege abschätzend mit dem Kopf und antworte: „Geht so. Der Mantel vielleicht 10, der Schlauch 5 Euro.“

„Ah, ist ok,“ sagt er, und ich frage ihn: „Hast du es weit?“

„Nein, nur bis da,“ antwortet er und zeigt auf die nächste Ortschaft. „Bin ich verabredet, mit Freundin.“

„Vielleicht schaffst du es noch, ich pumpe mal, soweit wie es geht, und wenn ich bescheidsage fährst du direkt los.“

„Wenn du bist müde, ich kann pumpen,“ sagt er.

Sehe ich so derangiert aus?

„Nee, lass mal, du musst ja sofort losfahren.“

Ich pumpe seinen Reifen soweit wie möglich auf und rufe: „So, jetzt aber!“

Er springt aufs Rad, ruft: „Danke! Hoffe, andere denken wie du!“ und beginnt, wie besessen in die Pedale zu treten.

„Ach, klar,“ sage ich und winke ab. „Viel Glück!“ rufe ich noch hinterher, aber da ist er schon außer Hörweite.

Was zu erzählen

Bei Subway an der Kasse stand heute vor mir ein junger Typ, irgendwas um die sechzehn, siebzehn, schätze ich mal. Vor ihm hatte gerade sein Kumpel sein Menü bezahlt, nun ist er an der Reihe.

Er hält schon sein Smartphone mit der Subway-App bereit, weil er genügend Punkte gesammelt hat, um sich sein gerade bestelltes Sandwich gratis abholen zu können.

“Tut mir leid, aber die Punkte reichen nicht,” sagt die Subway-Mitarbeiterin darauf jedoch zu ihm und zeigt ihm den Ausdruck aus der Kasse: Dreihundertirgendwas Punkte, das sind tatsächlich zu wenig.

“Aber meine App zeigt mir an, dass ich über 600 habe.”

Das käme manchmal vor, antwortet sie, aber sie könne jetzt auch nicht mehr sagen als das System ihr ausgibt. Sie ist peinlich berührt aber offensichtlich machtlos und fragt, ob er denn Geld mithabe und das Sandwich jetzt bezahlen könne.

“Nein, das ist ja das Problem. Ich hatte mich jetzt eigentlich darauf verlassen, dass ich mit den Punkten bezahlen kann.”

Das ist ihr unangenehm, das sieht man ihr an, aber einfach herausgeben könne sie das jetzt auch nicht, das dürfe sie nicht.

Scheiß Situation. Sein Freund hat sein Mittagessen schon, er selber steht jetzt nicht nur hungrig sondern auch irgendwie blamiert da, und die Mitarbeiterin ist ebenfalls völlig hilflos. Ich stehe dahinter und warte eigentlich nur darauf, bezahlen zu dürfen und mein Sandwich mitzunehmen. Vielleicht hätte sie das noch unter der Hand herausgeben können, überlege ich, wenn sie das nicht schon in die Kasse eingegeben hätte. Aber das konnte ja keiner voraussehen.

“Was soll’s,” denke ich mir, gebe der Subway-Angestellten 50 Euro und sage: “Ach, egal, ich übernehme das.”

Beide gucken mich entgeistert an und sagen fast einstimmig: “Wirklich?”

“Ja, komm, passt schon.”

“Danke,” sagt er, “aber wie soll ich mich denn revanchieren?”

“Wenn du mal 4 Euro übrig hast, gibst du sie ‘nem Obdachlosen oder so. Ist schon ok.”

Sie bedankt sich auch nochmal und gibt mir mein Wechselgeld. Ich bezahle meine eigene Bestellung, nicke ihm beim Weggehen noch kurz zu, fahre die Rolltreppe hoch und gehe nach draußen in den strahlenden Sonnenschein.

“Da haben wir zu Hause beide was zu erzählen,” denke ich noch.