Kulanz

Ich habe das neulich schon im Podcast mit Chrissie erzählt:

Mein Motorrad, das ich mir im vergangenen Jahr gebraucht bei einem Hildesheimer Händler gekauft habe, machte nach wenigen Wochen seltsame Zicken, die auf ein Elektronikproblem hindeuteten. Zum Glück hatte ich ja noch Gewährleistung darauf, also habe ich den Händler angerufen.

Der wiederum ist ein ziemlich entspannter Typ und meinte: “Fahr mal zu deiner Werkstatt, ich kenne die, die sollen sich das mal angucken, und dann rufste nochmal an.”

Gesagt, getan. Der Chef beschrieb mir den Fehler: Ein Batteriepol sei nicht richtig angeschlossen gewesen, so dass die Batterie über einen unbestimmten Zeitraum nicht mehr korrekt ge- bzw. entladen wurde. Er empfahl, die Batterie zu wechseln, weil nicht auszuschließen sei, dass sie dadurch Schaden genommen hat, und im schlimmsten Fall würde ich irgendwo liegenbleiben. Die Batterie sollte ca. 80 Euro kosten, und weil das ein wesentlich geringerer Schaden war, als ich befürchtet hatte (Kabelbaum! Elektronik!), beauftragte ich direkt die Werkstatt mit dem Austausch.

Der Händler war nicht ganz so begeistert: “Naja, ‘ne neue Batterie hätte ich jetzt auch noch da gehabt,” meinte er, was ich jedoch mit “Nützt mir nur im Zweifel nichts, wenn ich dann auf halbem Weg zu dir irgendwo stehe und die Karre nicht mehr ankriege” beantwortete.

Ich schlug ihm dann vor, dass er mir einfach die Hälfte dazugeben solle, und dann wär’s für mich auch ok. Darauf einigten wir uns.

Die Rechnung war dann allerdings etwas höher, nämlich mit Arbeitsaufwand und allem drum und dran 117 Euro. Also machte ich folgendes Experiment: Ich scannte die Rechnung ein und schickte sie ihm mit dem Kommentar, er solle mir einfach soviel überweisen, wie er für angemessen hält. Für mich wären auch 40 Euro in Ordnung gewesen, aber ich wollte einfach mal gucken, was passiert, wenn ich den Betrag offen lasse.

Siehe da: Nach kurzer Zeit bekam ich eine Mail mit einem Screenshot, auf dem eine Überweisung von 60 Euro zu sehen war – mit dem Hinweis “Schöne Grüße aus Hildesheim”.

Egal wie man es nennt – “Kulanz”, “Gnade vor Recht”, “Kundenservice” oder wie auch immer, solche Erlebnisse sorgen bei mir dafür, dass ich letzten Endes doch immer an das Gute im Menschen glaube.

Ich schreibe das deshalb nochmal auf, weil mir sowas ähnliches jetzt schon wieder passiert ist:

Ich habe mir vor kurzem für knapp 10 Euro ein digitales Probeabo der Wochenzeitung “Der Freitag” zugelegt, das man nach 4 Ausgaben kündigen musste, wenn man es nicht für ein halbes Jahr beziehen wollte.

Ich habe – in erster Linie aus Zeitgründen – die Ausgaben nicht komplett gelesen und wollte daher kein dauerhaftes Abo abschließen, aber wie das immer so ist: Ich habe natürlich den Kündigungstermin verpeilt. Gemerkt habe ich das erst, als sie mir rund 65 Euro abgebucht hatten. Mist.

Um zumindest den nächsten Termin nicht zu verpassen, habe ich umgehend das Abo gekündigt. Nach kurzer Zeit bekam ich eine Mail, in der sie meine Kündigung bedauerten und mir mitteilten, dass ich die nächste Ausgabe noch lesen könne, den restlichen Betrag würden sie mir zurückerstatten. Heute waren die 62 Euro nochwas auf meinem Konto.

An dieser Stelle muss ich mich nochmal herzlich beim “Freitag” bedanken. Sie hätten auch einfach die Kohle behalten und mich auf die AGB verweisen können.

Haben sie aber nicht. Und wenn jemand ein so kulantes Geschäftsverhalten an den Tag legt, muss man das auch mal erwähnen, finde ich.

 

Mommet

vaddern_und_mommetDer erste Türke, den ich in meinem Leben kennengelernt habe, war “Mommet”. Er war Matrose auf dem Schiff, auf dem mein Vater als Steuermann zur See fuhr. Eigentlich hieß er “Mahmut”, wie ich irgendwann mal auf einem Lottoschein gesehen habe, den ich für ihn abgeben sollte, als wir in Bremen, Hamburg, Kiel oder sonstwo im Hafen lagen.

Aber auf See ist es oft windig und laut, und wenn man dem Matrosen, der gerade am anderen Ende des Schiffes irgendwelche Arbeiten verrichtete, etwas zurufen wollte, musste man sich erstmal bemerkbar machen, damit er einen hörte, und darum nannten ihn alle an Bord immer nur “Mommet!”, das ließ sich besser brüllen.

Apropos brüllen: Wenn er mit an Land kam, rief er immer aus der Telefonzelle bei seiner Familie an und bölkte dabei so laut in den Telefonhörer, dass die Leute, die daran vorbeigingen, sich jedes Mal umdrehten und manchmal Bemerkungen machten, warum er überhaupt ein Telefon benutzen würde, mit dem Gebrülle müsste man ihn auch so in der Türkei hören können. Währenddessen steckte er fortwährend ein 5-Mark-Stück nach dem anderen in den Münzapparat.

Meistens blieb er aber an Bord, weil dort beim Laden oder Löschen angepackt werden musste, und weil ich in meinen Ferien war und somit im Grunde tun und lassen konnte, was ich wollte, zog es mich, meistens zu Fuß, manchmal auch auf meinem mitgebrachten Fahrrad, in die Innenstadt. Die Mannschaft gab mir in der Regel etwas Geld mit, von dem ich ein paar Besorgungen machen sollte. Für meinen Vater eine BILD, manchmal Zigaretten und für Mahmut eine Hürriyet.

Das Wechselgeld durfte ich dann immer “behalten, behalten!” Mahmut sprach ziemlich schlecht deutsch, und zur Sicherheit hat er einfach immer alles zweimal gesagt, falls man ihn beim ersten Mal nicht verstanden hatte.

Das Wort “Moslem” hat damals praktisch niemand benutzt. Mahmut war Türke und damit hatte es sich auch schon. Warum er kein Schweinefleisch isst, hat nie jemand hinterfragt, das war eben so, dafür hatte er seine eigene Wurst dabei, die aber immer in einer separaten Plastiktüte im Kühlschrank aufbewahrt wurde, damit nicht alles andere darin nach Knoblauch roch.

Das Schiff war ein Küstenmotorschiff, und wir fuhren meistens zwischen England, Skandinavien und Deutschland hin und her,  so dass wir uns manchmal mitten auf der Nord- oder Ostsee befanden und bis zum Horizont nur Wasser zu sehen war. Dann kam Mahmut manchmal hoch auf die Brücke, fragte, wo gerade Osten sei, und ging wieder hinunter in seine Kammer.

“Damit er weiß, in welche Richtung er beten muss,” erklärte mir mein Vater, als sei es das Normalste auf der Welt.

Was es aus unserer Sicht irgendwie auch war. Schließlich wurde in unserer Familie ohnehin nie gebetet, weder nach Osten noch sonstwohin. Was sollte es da für eine Rolle spielen, in welche Himmelsrichtung das jemand machte.

 

Schaltfaul

Kaum etwas lässt mich verständnisloser zurück, als Radfahrer (meistens sind es jedoch Radfahrerinnen), die sich vor mir auf nur leichten Steigungen abquälen, ohne herunterzuschalten. Spätestens nach drei, vier Kurbelumdrehungen gehen sie aus dem Sattel, schaffen noch eine weitere und steigen dann ab.

Den meisten sehe ich es vorher schon an. “Die schaltet nicht,” denke ich mir, sehe sie auf den Hügel oder die Rollstuhlrampe zufahren und achte auf die Stellung ihres Schaltwerks. Das steht dann meist irgendwo in der Mitte der Kassette und hat diesen Bereich seit Jahren nicht mehr verlassen.

Es sind übrigens immer billige Supermarkträder, die sie da fahren, und es wundert mich nicht im geringsten, wenn diese meist jungen Menschen das Radfahren als notwendiges Übel ansehen, das spätestens mit dem eigenen Führerschein und Auto endlich überwunden werden kann.

Würde man ihnen den richtigen Umgang mit ihrem Fahrrad beibringen, anstatt nur einmal nach der Grundschule die Verkehrsregeln abzufragen, wir könnten vermutlich den innerstädtischen Autoverkehr um die Hälfte reduzieren.

Siegfried Lenz

Siegfried Lenz ist tot.

Von ihm habe ich bislang nur “Deutschstunde” gelesen, in dem der Erzähler Siggi Jepsen als Strafarbeit einen Aufsatz mit dem Thema “Die Freuden der Pflicht” schreiben muss und davon erzählt, wie sein Vater, der Dorfpolizist, das Malverbot durchsetzt, das die Nazis gegen einen Freund der Familie ausgesprochen haben.

Ich war 17 oder 18 Jahre alt, als ich es gelesen habe, und es ist das bisher einzige Buch, das ich abends begonnen habe und nicht mehr weglegen konnte, bis ich nach etwa drei Kannen schwarzem Tee morgens auf der letzten Seite angekommen war.

Sechsundfünfzigvierundvierzig

Wie die meisten mitbekommen haben werden, bin ich in diesem Jahr ca. 20 Kilogramm leichter geworden, unter anderem durch Diät, aber auch dadurch, dass ich mittlerweile regelmäßig Sport treibe.

So laufe ich derzeit pro Woche an zwei bis drei Tagen ingesamt zwischen 10 und 15 Kilometer. Am Anfang habe ich das – auf indirekte Empfehlung von Patricia – noch mit der App “Zombies, Run!” gemacht, habe mich dann ein bisschen reingenerdet und bin mit Runtastic gelaufen, und seit ein paar Wochen trainiere ich mit einem Garmin Forerunner. So ziemlich zeitgleich fiel der Entschluss, mal wieder bei einem offiziellen 10-Kilometer-Lauf mitzumachen.

Mein letzter liegt mittlerweile vier Jahre zurück, und damals habe ich ihn in anderthalb Stunden beendet. Das sollte diesmal besser werden.

Vom Zeitpunkt lag der 10km-Lauf in Bremen günstig, also habe ich kurzerhand ein Hotelzimmer für uns gebucht und mich registriert.

Bereits im Training habe ich (mit kurzen Pausen an roten Ampeln) 10 Kilometer in 1:07:00 Stunden geschafft, also habe ich bei der Anmeldung als angepeilte Zielzeit einfach mal 1:05 Stunden angegeben.

Foto 05.10.14 08 47 31Wir sind bereits am Samstag angereist, haben uns ein wenig die Stadt angesehen, ich habe meine Unterlagen abgeholt, und wir sind in einem ziemlich überteuerten Maredo-Restaurant essen gegangen. Eiweiß soll ja für Läufer wichtig sein.

Gestern Morgen wurde es dann ernst. Die Schuhe samt Zeitnahmetransponder geschnürt, Laufsachen an und ab in die Straßenbahn, die uns praktisch direkt an der Startsammelzone absetzte.

Noch kurz einen Treffpunkt ausgemacht – das iPhone habe ich diesmal nicht mitgenommen – und dann habe ich mich auch schon auf meine Startposition begeben.

Foto 05.10.14 08 49 40Anders als noch vor vier Jahren gab es keine vorgegebene Einteilung, wo man sich in etwa einreihen sollte. Praktischerweise war aber bei allen Läufern die Zielzeit neben die Startnummer gedruckt, so dass ich mich bei ungefähr gleichschnellen Teilnehmern einsortierte.

Vorgenommen hatte ich mir, zeitlich unter einer Stunde zu bleiben, also stellte ich meine Uhr so ein, dass ich gegen einen virtuellen Gegner laufen würde, der exakt 60 Minuten für die Strecke brauchen würde. So lange ich also vor diesem “Gegner” bleibe, ist alles im Lack.

Um 9:35 Uhr fiel der offizielle Startschuss, dann bildete sich der übliche Stau, so dass ich mehr als zwei Minuten später die Startlinie überquerte.

Und dann habe ich erstmal ordentlich Gas gegeben. Vor mir waren lauter Läufer, die zum Teil einen ganz seltsamen Laufstil pflegten. Die schlackerten mit den Füßen, als wären sie noch nie gelaufen und sahen beim besten Willen nicht so aus, als würden sie die Strecke in einer Stunde schaffen. Wahrscheinlich so wie ich vor vier Jahren. Also musste ich an denen erstmal vorbei, schon allein, um etwas mehr Platz für mich zu haben.

Meine Uhr zeigte nach kurzer Zeit an, dass ich ca. 30 Sekunden vor meinem virtuellen Konkurrenten sei, so dass ich diesen recht komfortablen Vorsprung schon mal in der Tasche haben würde, solange ich unter einer Pace von 6:00 min/km bleibe. Praktischerweise fing meine Uhr immer an zu nörgeln, wenn ich langsamer als eben diese 6 min/km wurde, was aber eigentlich immer nur dann der Fall war, wenn andere Läufer mir den Weg versperrten. An einigen Stellen wurde die Strecke ziemlich eng, so dass ich immer wieder mal zu kleinen Überholmanövern ansetzen musste, die natürlich etwas den Laufrhythmus durcheinander brachten und die Herzfrequenz kurz ansteigen ließen.

Eine etwas korpulentere Läuferin sah so aus, als würde sie bei jedem Schritt mit den Schultern unsichtbare Gegner umstoßen müssen, das war gar nicht so leicht, die zu umrunden. Nicht, weil sie so dick war, sondern weil sie dabei so ausladende Bewegungen machte.

Ansonsten waren die Laufbedingungen perfekt. Am Vortag war noch Regen angekündigt, stattdessen herrschten angenehme 12 Grad – ideale Lauftemperatur – kaum Wind und strahlender Sonnenschein.

Zwischendurch habe ich hin und wieder meinen Puls abgelesen: Irgendwas um die 160, also etwa dort, wo ich beim Intervalltraining auch immer mal landete. Das Training mit dem Plan von Garmin hat sich wirklich ausgezahlt. Trotz relativ hohem Puls fühlte ich mich kaum an meiner Belastungsgrenze. Ich bin kein Experte, was Sportmedizin angeht, aber ich glaube, genau so soll das beim Wettkampf auch sein.

Nach einer langen Geradeausstrecke am Weserufer ging es dann einmal durchs Weserstadion und wieder zurück. Kurze Zeit später sah man schon ein Schild für die Marathonläufer, das mit “39 km” beschriftet war. Also noch etwa 3 Kilometer, die Schlussstrecke war für alle Läufer die gleiche – ob 10 km, Halbmarathon oder Marathon.

Foto 05.10.14 10 44 24Die Uhr zeigte mittlerweile einen Vorsprung von 2:30 Minuten an, Herzfrequenz um die 170 bpm. Ich hatte also noch reichlich Zeit, um die Stunde zu unterbieten, trank kurz einen Becher Wasser, der an der Strecke gereicht wurde, drückte mir einen nassen Schwamm in den Nacken und erhöhte nochmal das Tempo.

Auf der Zielgeraden nahm ich ein letztes Mal alle Reserven zusammen und ließ mich von Musik und Sprecher anfeuern. Puls 179, scheißegal, nur noch ein paar Meter, die Zieleinlaufuhr zeigte 58 Minuten an. Ich wusste aber, dass ich ja erst 2 Minuten später gestartet war, die Zeit von 1:00:00 Stunde hatte ich also locker im Sack, außerdem hatte ich noch meine Uhr am Handgelenk, die mir ca. 56 Minuten anzeigte.

Dann durchs Ziel, nicht mehr nach links oder rechts gucken, Faust in die Luft, geschafft, geschafft, geschafft.

Und so bin ich dann tatsächlich die zehn Kilometer in 56 Minuten und 44 Sekunden (netto) gelaufen. 36 (in Worten: sechsunddreißig) Minuten schneller als noch vor vier Jahren.

Mal gucken, vielleicht (aber nur vielleicht) mache ich nächstes Jahr einen Halbmarathon mit. Hannover würde sich ja anbieten. Noch 194 Tage zum Trainieren.

Und hier könnt ihr euch noch meinen Zieleinlauf anschauen. Der, der da bei 59:17 durch’s Ziel läuft, bin ich.

 

 

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