Neulich entschloss ich mich nach Feierabend noch zu einer Runde mit dem Rennrad, nichts allzu Anstrengendes, ohne Berge, gemäßigtes Tempo – immerhin sind draußen 34° C im Schatten, und man muss es ja nicht übertreiben.
Auf dem letzten Drittel der Strecke sehe ich vor mir einen jungen Mann in Fußballtrikot und kurzer Hose neben seinem Fahrrad an der Bundesstraße stehen.
„Ah, Flüchtling,“ denke ich, frage mich aber direkt im Anschluss, woher ich das weiß. Es könnte ja auch ein Ortsansässiger mit türkischer oder arabischer Herkunft sein.
Aber irgendwie erkennt man die Flüchtlinge ja doch. Nicht, dass ich ein Modeexperte wäre, aber die Kleidung, die sie tragen, ist immer ein wenig am Trend vorbei, dazu der Umstand, dass sie auf meist etwas klapprigen Fahrrädern unterwegs sind. Für junge Türken oder Araber in diesem Alter: Ein absolutes No-Go.
Apropos Mode: Ich sehe – wie die meisten Rennradfahrer – auch diesmal wieder vollkommen bescheuert aus. Anliegendes, buntes Trikot, affiger Helm, hautenge Hose, 3/4-Handschuhe, leicht getönte Schutzbrille. Alter Mann in Funktionskleidung eben, aber um die Optik geht‘s ja nicht.
„Alles ok?“ frage ich und halte an.
„Hast du Luftpumpe?“ fragt er zurück, und tatsächlich habe ich eine kleine Mini-Pumpe dabei.
„Habe ich“, sage ich, steige ab, sorgsam bedacht, nicht mit den Klickpedalschuhen hängenzubleiben und mich durch stumpfes Umkippen komplett zum Affen zu machen. Ich lehne mein Rad gegen einen Leitpfosten und stakse mit meinen Radschuhen zu seinem havarierten Fahrrad.
Nach wenigen Pumpstößen merke ich schon: Das wird nichts. Die soeben hineingepumpte Luft entweicht hörbar.
„Muss ich tauschen? Ist teuer?“
Hm, was ist für jemanden in seiner Situation teuer? Ich wiege abschätzend mit dem Kopf und antworte: „Geht so. Der Mantel vielleicht 10, der Schlauch 5 Euro.“
„Ah, ist ok,“ sagt er, und ich frage ihn: „Hast du es weit?“
„Nein, nur bis da,“ antwortet er und zeigt auf die nächste Ortschaft. „Bin ich verabredet, mit Freundin.“
„Vielleicht schaffst du es noch, ich pumpe mal, soweit wie es geht, und wenn ich bescheidsage fährst du direkt los.“
„Wenn du bist müde, ich kann pumpen,“ sagt er.
Sehe ich so derangiert aus?
„Nee, lass mal, du musst ja sofort losfahren.“
Ich pumpe seinen Reifen soweit wie möglich auf und rufe: „So, jetzt aber!“
Er springt aufs Rad, ruft: „Danke! Hoffe, andere denken wie du!“ und beginnt, wie besessen in die Pedale zu treten.
„Ach, klar,“ sage ich und winke ab. „Viel Glück!“ rufe ich noch hinterher, aber da ist er schon außer Hörweite.