Fettleibigkeitsapologeten

Ich habe mich gestern aufgeregt. Ich bin gut darin, mich aufzuregen, das lasse ich dann meistens auf Twitter oder auf Facebook kurz raus, und dann geht’s wieder. Manchmal hält mein Ärger aber länger, und das ist diesmal wieder der Fall.

Seit ein paar Tagen nämlich poppen in meiner Timeline wieder die Fettleibigkeitsapologeten auf. Ihre Bewegung nennt sich “Fatacceptance”, und wenn sie nur dafür kämpfen würden, dass Dicke nicht diskriminiert werden, wäre dagegen ja gar nichts zu sagen. Es muss nicht jeder schlank und sportlich sein. Soll jeder mit sich und seinem Körper glücklich werden, da sind mir auch höhere Krankenkassenbeiträge egal. Muss man sich nur mal überlegen, was die ganzen Verletzungen kosten, die verursacht werden, weil sich Kreisklassenfußballer am Wochenende mit knapp 1‰ Restalkohol auf dem Kessel gegenseitig in die Knochen grätschen.

Diese Fatacceptance-Leute aber geben sich alle Mühe, auch denjenigen, die bereits abnehmen wollen, genau das auszureden.

Ihre Argumente sind immer die gleichen:

  • “So ungesund ist Übergewicht gar nicht.”
  • “Das ist alles nur eine verzerrte Körperwahrnehmung.”
  • “Mit Diäten kann man gar nicht dauerhaft abnehmen.”

Bei dem Bullshit ist mir gestern ein wenig die eine oder andere Ader angeschwollen.

https://twitter.com/larsreineke/status/841647278209273856

Vor drei Jahren war ich fett. Naja, mindestens dick. BMI über 30 halt. Vor drei Jahren war es praktisch undenkbar, dass ich mich darauf freue, nach Feierabend noch eine Radtour über knapp 30 km zu unternehmen. Vor drei Jahren schmerzten mir abends die Füße, ich war müde und träge. Mag ja sein, dass man das irgendwann nach Jahrzehnten Übergewicht als normal empfindet, aber es geht halt auch anders.

Seit ich mit einem BMI von unter 25 umher laufe, halte ich problemlos wesentlich längere Fußwege durch, Klamotten kaufen macht mir wieder Spaß, ich habe eine deutlich höhere Ausdauer, kann Treppen mühelos hochsteigen, habe keinen erhöhten Blutdruck und kein nächtliches Sodbrennen mehr.[1. Die Ausschusssitzungen, an denen ich noch im vergangenen Jahr teilgenommen habe, waren im 10. Stockwerk des Rathauses. Wenn ich nicht gerade erkältet war, bin da hochgelaufen, statt den Aufzug zu nehmen. Vor drei Jahren hätte ich der Sitzung danach nicht mehr folgen können.]

Mag ja sein, dass es Studien gibt, aus denen man herauslesen kann, dass leichtes[2. Haha! Als ob!] Übergewicht  nicht unbedingt gesundheitsschädlich sein muss, und dass Normalgewichtige auch nicht länger leben, aber wenn mir eines klar geworden ist, dann, dass sich die Lebensqualität ohne Übergewicht drastisch erhöht.

Kann auch gut sein, dass man immer wieder auf sein Gewicht achten muss, so dass manche das Gefühl haben, immer Diät halten zu müssen. Jahrzehntelanges Fehlverhalten geht halt nicht mal eben weg, nur weil man 2 Monate auf seine Ernährung geachtet hat. Also muss ich immer wieder mal Kalorien zählen, ist halt so. Es gibt Menschen, die intuitiv schlank bleiben, ich gehöre nun mal nicht dazu, so what? Andere brauchen keinen Wecker, um morgens pünktlich aufzustehen, ich schon. Kann ich mit leben.

Was mich dabei so ärgert?

Was diese Fatacceptance-Leute da von sich geben, sobald sie von anderen hören, dass sie eine Diät angefangen haben, ist exakt das gleiche, was Raucher und andere Suchtkranke erzählen, wenn Menschen in ihrer Umgebung der Droge abschwören.

  • “Sind ja nur ein paar Zigaretten am Tag.”
  • “So schlimm ist Rauchen gar nicht.”
  • “Mein Onkel / mein Schwager / mein Kollege / Helmut Schmidt ist auch uralt geworden.”
  • “Die meisten fangen eh wieder an.”
  • “Ich rauche aber gern.”

Meinetwegen kann jeder für sich selbst entscheiden, ob sie oder er übergewichtig sein möchte, aber bei dieser Art der Argumentation unterstelle ich andere Beweggründe: Sie wollen nicht die letzten Dicken (respektive “Raucher”) sein. Ich habe noch nie von jemandem gehört, der selbst erfolgreich abgenommen oder das Rauchen aufgegeben und hinterher versucht hätte, andere von genau dieser Entscheidung abzubringen. Es sind immer die, die nicht zurückgelassen werden wollen.

Und aus purem Egoismus heraus anderen, die vielleicht endlich mal den Antrieb zu einem besseren, gesünderen Leben gefunden haben, so viele Steine wie möglich in den Weg zu legen, gehört so ziemlich zum Schäbigsten, was ich mir vorstellen kann.

“Gegen den Hass” – Carolin Emcke

“Gegen den Hass”

Es ist schon vorgekommen, dass ich Bücher zweimal gekauft habe. Insbesondere seitdem ich einen Kindle zum Lesen verwende, habe ich mir das eine oder andere Buch nochmal digital zugelegt, das ich bereits auf Papier im Schrank stehen hatte. Es liest sich halt angenehmer, finde ich.

Der umgekehrte Fall, dass ich ein Buch auf dem e-Book-Reader bereits gelesen habe und es danach nochmal auf Papier kaufe, ist noch nie eingetreten. “Gegen den Hass” von Carolin Emcke hingegen habe ich hinterher gleich viermal gekauft.

Das Buch gibt es bei Amazon in der gebundenen Ausgabe für stolze 20,- Euro, eine ganze Menge für gerade mal 240 Seiten, aber die sind so dicht gepackt mit zitierwürdigen Absätzen, wie ich es selten erlebt habe.

Carolin Emckes Essay beginnt zunächst mit grundlegenden Beschreibungen von Emotionen und Weltsichten, die zum Verständnis aber auch zum Entstehen des Hasses beitragen. Sie analysiert dabei, was eine gefilterte Sicht der Dinge in den Köpfen anrichten kann und wechselt die Perspektive,

[..] eine Facebook-Seite oder eine Zeitung oder ein Fernsehprogramm, wo Christen dann und nur dann erwähnt würden, wenn sie straffällig geworden sind und jedes einzelne Verbrechen, das eine christliche Person begeht, kausal mit ihrer Religionszugehörigkeit in Verbindung gebracht würde. Es gäbe keinen einzigen Bericht über verliebte Paare, die christlich sind, über christliche Rechtsanwältinnen, die Expertinnen in Steuerrecht sind, über katholische Landwirte oder protestantische Automechaniker, keine Meldungen über sakrale Chormusik oder Theaterfestivals, in denen christliche Schauspielerinnen und Schauspieler zu sehen sind, sondern nur und ausschließlich über den Ku-Klux-Klan, über die Anschläge radikaler Abtreibungsgegner und individuelle Verbrechen von häuslicher Gewalt über Missbrauch von Kindern bis zu Banküberfällen, Entführungen oder Raubmorden – alles immer unter der Überschrift »Christentum«. Wie würde ein solches Raster die Wahrnehmung verändern?

um dann zu einer minutiös geschilderten Beschreibung zweier Ereignisse überzuleiten: Dem wütenden Mob in Clausnitz, der vor einem eintreffenden Flüchtlingsbus die ankommenden Kinder und Frauen in entsetzliche Angst versetzt hat, sowie die Verhaftung des schwarzen Opfers von Polizeigewalt, Eric Garner, auf Staten Island, die mit seinem Tod endete.

Sehr eindringlich führt Emcke dem Leser sowohl den spontanen, unorganisierten Hass von Privatpersonen als auch den institutionellen Hass und Rassismus innerhalb von Behörden vor Augen.

Im folgenden Teil analysiert sie dem Hass zugrundeliegende Denkmuster, die immer wieder auf die Werte “Homogenität”, “Natürlichkeit” und “Reinheit” hinauslaufen und zeigt anschaulich die Absurdität solcher Wertvorstellungen:

Wenn in der Bundesrepublik nur Linkshändern das Recht auf Meinungsäußerung zugestanden würde, wenn nur Personen mit absolutem Gehör eine Schreiner-­Lehre absolvieren dürften, wenn nur Frauen vor Gericht als Zeuginnen zugelassen wären, wenn an öffentlichen Schulen nur jüdische Feiertage gelten würden, wenn nur homosexuelle Paare Kinder adoptieren dürften, wenn Menschen, die stottern, der Zugang zu öffentlichen Schwimmbädern verweigert würde, wenn Schalke­-Fans das Recht auf Versammlungsfreiheit entzogen würde, wenn nur Menschen mit einer Schuhgröße von über 45 in den Polizeidienst aufgenommen würden – so lägen in jedem einzelnen Fall willkürliche Codes vor, die über soziale Anerkennung, Freiheitsrechte und Zugang zu Chancen und Positionen entscheiden. Es wäre leicht zu erkennen, dass die jeweiligen Kriterien für Zugehörigkeit oder Zugang irrelevant sind für die Fähigkeiten, derer es bedarf, um ein bestimmtes Amt auszuüben, eine Aufgabe zu übernehmen – oder grundsätzlich irrelevant sind für das Recht, ein freies, selbstbestimmtes Leben zu leben.

In einigen Rezensionen unter anderem auf Amazon wird bemängelt, dass Emcke keine konkreten Strategien und Tips zum Umgang mit hasserfüllten Menschen anbieten würde. Das mag sein. “Gegen den Hass” ist kein Ratgeber, sondern ein fulminantes Plädoyer für eine offene, tolerante und pluralistische Gesellschaft aber auch eine Argumentationshilfe für alle, die sich nicht mit Ressentiments und Chauvinismus abfinden wollen.

Das Buch ist gerade heute ein wichtiger Beitrag dafür, dass Humanismus und Mitgefühl gegen Isolationismus, Nationalismus und Ausgrenzung die Oberhand behalten.

Und darum habe ich es viermal gekauft, allerdings nicht bei Amazon (so viel Geld hatte ich dann doch nicht übrig), sondern bei der Bundeszentrale für politische Bildung, wo “Gegen den Hass” zur Zeit für nur 4,50 Euro bestellt werden kann.

Von meinen Exemplaren werde ich einige verschenken, einige verleihen. Vielleicht ändert es etwas.

Spikereifen

Foto: schwalbe.com
Foto: schwalbe.com

Bevor die Außentemperatur in diesem Jahr erstmals auf unter 0° Celsius sank, habe ich mein Crossrad auf Wintermodus umgerüstet, sprich: Spike-Reifen aufgezogen.

Bestellt hatte ich die Schwalbe Marathon Winter bereits vor ein paar Wochen, habe aber jetzt zum ersten Mal die Gelegenheit gehabt, die Dinger auszuprobieren, und ich muss sagen: Ziemlich geiles Fahrgefühl.

Gerade in den wenig befahrenen Kurven in Wohngebieten bilden sich nachts fies glitzernde Flächen, die ich bisher nur mit äußerster Vorsicht überfahren habe, über die man aber mit den Spikes problemlos drüberrauschen kann.

Auf Asphalt machen die Reifen durchaus einigen Lärm, aber die Gelegenheiten, in denen man völlig unbeeindruckt und nahezug lautlos über zugefrorene Wasserpfützen rollt, entschädigen dafür alle Mal.

Und noch ein kleines Detail: Wenn der Scheinwerfer im richtigen Winkel über die Reifenoberfläche leuchtet, erzeugen die Spikes beim Fahren interessante Effekte, die die Älteren unter uns an die Geschwindigkeitskorrektur eines Plattenspielers erinnern werden.

Für Fahrradenthusiasten, die auch im Winter nicht aufs Rad verzichten wollen: Klare Kaufempfehlung.

https://youtu.be/poNaqNI0cTY

Apps zur Meditation – Teil 2:
1 Giant Mind

Als ich gestern in Teil 1 “Headspace” vorgestellt hatte, habe ich ja bereits erwähnt, dass die Subscription bei dieser App nicht ganz günstig ist. Darum will ich euch heute eine kostenlose Alternative zeigen, die zwar nicht ganz so umfangreich, meines Erachtens aber mindestens ebenso gut geeignet ist, um damit das Meditieren zu erlernen.

Die Rede ist von

1 Giant Mind

Was ist das also für 1 giant mind am been? (Entschuldigung, der musste sein.)

1gm1 1 Giant Mind ist eine Meditations-App, die vom Australier Jonni Pollard, einem Meditationslehrer, erschaffen wurde. Nach eigenen Angaben handelt es sich bei 1 Giant Mind um eine non-profit organization, die es sich zum Ziel gesetzt hat, anderen Menschen das Meditieren beizubringen, um “die negativen Auswirkungen von Stress zu reduzieren und die Gesundheit zu fördern”. Möglicherweise dient die App dabei im Wesentlichen als Werbeplattform für Jonni Pollards Beratungs- und Lehrtätigkeit, ich weiß es nicht. Um die App zu nutzen, kann man sich per Facebook authentifizieren, die Datensammelwut hält sich dabei durchaus in Grenzen, so will die App lediglich auf Name, Wohnort und Mailadresse zugreifen (und z.B. nicht wissen, mit wem ihr alles befreundet seid).

Die App bietet drei Grundfunktionen. Zunächst startet man mit einem 12-teiligen Einführungsprogramm, bei dem man jeden Tag ca. 15 Minuten angeleitet das Meditieren erlernt. Begleitet werden die Übungen von Jonni Pollard selbst, der sehr sympathisch rüberkommt und alles gut verständlich und ohne Ausflüge in die Esoterik erklärt. Positiv dabei: Die App erinnert den Benutzer vor jeder Meditation, Kopfhörer zu verwenden und den “Bitte-nicht-stören”-Modus einzuschalten. Eine Kleinigkeit, aber sehr hilfreich.

1gm2Die Meditation selbst läuft etwas anders ab als bei Headspace. Auch hier wird zwar zunächst ein paar Mal tief durchgeatmet, dann kurz gecheckt, ob auch alles entspannt ist: Kiefer, Stirn, Schultern. Im Gegensatz zu Headspace wird aber jede Meditation mit einem leichten “Pling” einer Klangschale eingeleitet und während der gesamten Zeit erklingt im Hintergrund ein sphärischer Ambience-Sound. Der ist aber sehr unaufdringlich und durchaus hilfreich beim Absinken in die Meditation.

Doch auch bei der Meditationstechnik geht 1 Giant Mind einen anderen Weg. Der Fokus liegt hier nicht auf dem Atem sondern auf einem Mantra, das man möglichst ohne Anstrengung (“effortless”) im Geist wiederholen soll. Ich war zunächst skeptisch, musste dann aber sehr bald feststellen, dass das (zumindest nach meiner Wahrnehmung) eine sehr effektive Methode ist, wieder zurück zur Meditation zu finden, sobald man bemerkt hat, dass die eigenen Gedanken wieder abgeschweift sind.

Besonders gelungen: Nach jeder Sitzung wird dem Anwender eine Liste von Erfahrungen angeboten, die man möglicherweise während der Meditation erlebt hat. Zum Beispiel “Ich war ständig abgelenkt”, “Ich habe vergessen, an das Mantra zu denken”, “Ich bin eingeschlafen” oder “Ich hatte seltsame Bilder im Kopf”. Wählt man eine dieser Erfahrungen aus, erklärt einem Jonni Pollard in einem kurzen Video, was es damit auf sich hat, dass diese Erfahrungen und Erlebnisse völlig normal sind und wie man damit umgehen kann. Für mich persönlich waren dabei Erkenntnisse wie “Es gibt keine gute oder schlechte Meditationssitzung” und “Das Abschweifen in Gedanken ist absolut erwünscht und gehört dazu” sehr wertvoll.

Alle 2 – 3 Tage erhält man zusätzliche Informationen, die wiederum die Funktionsweise der Meditation näher erläutern. Hat man die 12 Tage absolviert, kann man die 30-Tage-Challenge beginnen, bei der man versuchen soll, das Gelernte 30 Tage lang jeden Tag in einer Meditation zu einer Gewohnheit werden zu lassen. Auch hier gibt es im Wochenrhythmus neue Inhalte, zuvor erhält man noch den Freischaltcode zu einem etwa halbstündigen Video, in dem Jonni in einem Interview auf die drei häufigsten und wichtigsten Fragen eingeht.

1gm3Wer möchte, kann nach den 12 Einführungstagen auch zusätzlich den Meditationstimer verwenden, der dann ebenfalls freigeschaltet ist. Sowohl bei der 30-day-challenge als auch im Timer hat man nun die Auswahl zwischen Jonni und einer weiblichen Stimme (Laura Poole), die die Übungen ein- und ausleitet, außerdem kann man den Hintergrundsound wechseln und die Dauer der Sitzung einstellen.

Einziger Kritikpunkt ist die zuweilen recht lange Zeit, die die 12 Einführungssitzungen zum Download benötigen, so ist es bei mir auch zwei, drei Mal zum Abbruch beim Herunterladen gekommen. Nach einem zweiten Versuch hat es dann aber immer geklappt, nach den 12 Tagen sind ohnehin keine Downloads mehr nötig.

Fazit

Nicht nur für ein kostenloses Angebot ist die App wirklich gelungen. Die Erläuterungen sind sehr gut verständlich und vor allem absolut logisch und nachvollziehbar, denn auch 1 Giant Mind verzichtet völlig auf Esoterik.

Ok, die Fotos der meditierenden Testimonials sind irgendwann etwas kitschig und erinnern so ein Bisschen an C&A-Werbung aus den 90ern, mit viel Lagerfeuer, Veranda-Mädchen und Surfertypen, aber vielleicht sehen die in Australien ja wirklich alle so aus, wer weiß das schon so genau.

Die App dient einem einzigen Zweck: Man kann damit das Meditieren lernen. Wem das ausreicht und wer nicht noch zielgerichtete Techniken benötigt, um Gelassenheit, Stressabbau oder ähnliches anzugehen, wird damit völlig zufrieden sein.

Ich selbst bin mir noch nicht sicher, ob ich mein Headspace-Abo zugunsten von 1 Giant Mind aufgeben werde, zur Zeit verwende ich eine App morgens und eine abends.

Natürlich besteht bei einem Gratisangebot immer die Möglichkeit, dass es schon morgen kostenpflichtig oder ganz eingestellt wird, aber so lange die App zur Verfügung steht, kann ich sie jedem Meditationsinteressierten uneingeschränkt empfehlen.

Apps zur Meditation – Teil 1: Headspace

Vor und nach Rats- oder Ausschusssitzungen konnte ich oft nachts nicht gut einschlafen, weil meine Gedanken immer darum kreisten. Wobei „kreisen“ in der Tat wörtlich zu nehmen ist, denn vor den Sitzungen malte ich mir immer wieder aus, wie ich meine Redebeiträge gestalten würde – und anstatt die Ideen einfach aufzuschreiben und sie somit nicht ständig wiederholen zu müssen, ging ich sie wieder und wieder durch.

Nach den Sitzungen war es nicht anders, denn da überlegte ich mir oft noch stundenlang, was hätte besser laufen können und was wohl in den nächsten Tagen davon in der Presse berichtet werden würde.

Würde, würde, hätte, hätte. Ich schlief also schlecht, weil ich die ganze Zeit bei Ereignissen in der Zukunft oder in der Vergangenheit war.

Irgendwann erwähnte Holger Klein bei WRINT, dass es ihm ähnlich ginge und er das gut durch Meditation in den Griff bekäme.

Hm, Meditation, das war doch diese Nummer, bei der kahlrasierte Männer in orangen Gewändern im Schneidersitz zwischen Räucherstäbchenschwaden auf dem Boden sitzen und vor sich hin murmelnd versuchen, nicht zu denken, oder? Etwas für gelangweilte Hausfrauen, die – wenn sie nicht gerade meditieren – Yogakurse belegen und in Impfgegnerforen gegen die Pharmaindustrie wettern.

Nun, nicht unbedingt.

Meditation geht auch ohne Esoterik, und dank technologischem Fortschritt kann das mittlerweile jeder lernen, der sich 10 – 20 Minuten am Tag Zeit dafür nehmen kann. Es gibt nämlich verschiedene Apps dafür. Ein paar davon möchte ich hier nach und nach vorstellen.

Headspace

Die bekannteste Meditations-App dürfte Headspace sein, die von dem Engländer Andy Puddicombe ins Leben gerufen wurde. Andy war buddhistischer Mönch, ausgebildeter Zirkusartist und verbrachte einige Jahre in Klöstern, um dort das Meditieren zu lernen. Er stellte irgendwann fest, dass Meditation auch ohne religiösen Überbau funktioniert und adaptierte verschiedene Techniken, damit sie auch in der westlichen Welt akzeptiert werden würden.

headspaceDie App ist so aufgebaut, dass Andy zunächst in 10 mal 10 Minuten Schritt für Schritt (auf englisch) in geführten Meditationen erklärt, wie das ganze überhaupt funktioniert. Dabei folgt jede – möglichst täglich durchzuführende – Meditation einem bestimmten Muster. Erst ein paar Mal tief durchatmen, Geräusche und Umgebung wahrnehmen (aber sich nicht darauf konzentrieren), den eigenen Körper von Kopf bis Fuß abscannen und schließlich auf den eigenen Atem fokussieren, was den Hauptteil der Meditation ausmacht. Nach etwa 10 Minuten folgt dann wieder der langsame Übergang in den Alltag.

Andy Puddicombes Stimme ist angenehm, gut verständlich und führt den Anwender ohne esoterischen Schnickschnack durch die Übungen. Die App ist zunächst kostenlos, entscheidet man sich nach den 10 Einführungsmeditationen dazu, das ganze fortzusetzen, wird allerdings eine Subscription fällig. Die gibt es gestaffelt in verschiedenen Intervallen, von monatlich (9,95 €), über 1- und 2-jährig bis hin zu einer lebenslangen Nutzungsmöglichkeit, die jedoch mit knapp 400 € zu Buche schlägt.

Man sollte nach Abschluss der Subscription zunächst noch die beiden Basismeditationsserien á 10 Übungen durchgehen, um die Technik sicher zu beherrschen. Dann aber hat man Zugriff auf eine recht große Auswahl themenbasierter Meditationsreihen, alle von Andy geführt. Die über 20 Themen berühren Geduld und Großzügigkeit, aber auch Ausgeglichenheit und bessere Konzentration und sollen helfen, Stress und Angst abzubauen. Ab und an kommen Themenbereiche und Erweiterungen hinzu. Einige Reihen sind in 10 Übungen unterteilt, bei anderen sind es bis zu 30.

Dabei kommen verschiedene Meditationstechniken zum Einsatz, unter anderem die Fokussierung auf den Atem, die Visualisierung und das „Noting“, also das Gewahrwerden von bestimmten Gedankenmustern.

Des weiteren gibt es einzelne geführte und ungeführte Meditationen zu bestimmten Lebenssituationen wie Flugangst, aber auch Anleitungen zur Meditation auf dem Weg zur Arbeit, zum Einschlafen und ähnliches.

Begleitet und erläutert wird das Ganze mit Hilfe von kurzen Zeichentrickfilmen, die anhand von Metaphern verdeutlichen, wie unser Gehirn so tickt und wie wir es trainieren können, mit verschiedenen Herausforderungen besser umzugehen.

https://www.youtube.com/watch?v=G-w6dKWBypI

Man kann sich außerdem mit “Buddies” zusammentun und sich so gegenseitig zum Meditieren motivieren. Hat man eine bestimmte Anzahl von Tagen ununterbrochen jeden Tag meditiert, erhält man einen Gutschein für einen Monat, den man wiederum verschenken kann.

Fazit

Headspace ist nicht ganz billig, aber durchaus sein Geld wert. Es eignet sich vor allem für völlige Neueinsteiger, die sich zum ersten Mal mit Meditation beschäftigen und keine Lust auf das ganze Chakren-Energie-Klangschalen-Gedöns haben. Die 10 Minuten lassen sich zumindest für mich gut in den Alltag einbauen.

Ich empfehle jedoch eine Abo-Dauer von maximal einem Jahr, weil sich doch vieles wiederholt und man sich irgendwann fragt: Kommt da noch was, und brauche ich zum Meditieren eigentlich eine solche App oder reicht nicht auch ein Timer?

Das hat bei mir dazu geführt, dass ich mich kürzlich noch mit ein paar Alternativen zu Headspace befasst habe, die ich in den kommenden Tagen vorstellen möchte. Darunter sind unter anderem die kostenlose und bemerkenswert gute App “1 Giant Mind”, eine deutsche Variante namens “7Mind” und ein paar weitere wie “Buddhify”, “Stop, Breathe and Think” und “Insight Timer”.

Ob ich durch die regelmäßige Meditation gelassener geworden bin, können vermutlich meine Freunde und Familienangehörige besser beurteilen als ich, persönlich habe ich aber schon den subjektiven Eindruck, besser mit Situationen umzugehen zu können, die früher dazu geführt haben, dass ich mich übertrieben (und oft grundlos) aufrege. Und besser einschlafen kann ich mittlerweile auch. Aber ich muss ja jetzt auch zu keinen Ratssitzungen mehr.