Ich habe gerade den leeren Kaffeebecher weggeworfen und meinen Windschutz am Hals hochgezogen, da spricht mich jemand von der Seite an: “Na, wenn das mal nicht die letzte Gelegenheit in diesem Jahr ist, was?”
Tatsächlich ist es relativ voll heute. Viele haben ihre Maschinen witterungsbedingt nur bis Oktober angemeldet und werden vielleicht neidisch sein auf diejenigen, die so wie heute bei Sonnenschein und 15° im November durch die Herbstlandschaft fahren können.
“Och, mal schauen, ” antworte ich, “das Jahr ist ja noch nicht rum.”
Smalltalk liegt mir nicht so.
Dem älteren Herrn, der in Cordhosen und Turnschuhen neben mir steht, offenbar schon:
“Ich war ja neulich das erste Mal seit Wochen wieder unterwegs. Hab ‘ne neue Hüfte gekriegt. Muss ich aufpassen, wenn ich anhalte. Sonst stelle ich mich immer auf das linke Bein, aber das geht jetzt nicht mehr so gut. Ich vergess das nur dauernd, da hätte ich mich neulich fast auf die Fresse gelegt.”
Ich schaue mir den Mann genauer an. Er ist etwas kleiner als ich, deutlich über 60, vielleicht sogar 70 Jahre alt, macht aber ansonsten nicht den Eindruck, besonders vergesslich oder sturzgefährdet zu sein. Eigentlich sieht er wie ein ganz normaler Rentner aus. Sogar die obligatorische, beigefarbene Stoffjacke hat er an.
“Mit meiner war ich mal inner Werkstatt. Wollten se nich so richtig bei und mich abwimmeln, aber nich mit mir, hab ich dem gesagt, ich hab schon an Motoren geschraubt, da war er noch bei seinem Papa im Sack, hab ich dem gesagt. Dann war’s ok, seitdem verstehn wir uns.”
Die Sprache unter Bikern ist manchmal rauh, habe ich mal gelesen. Allerdings hatte ich da nicht das Bild eines Durchschnittsrentners vor Augen.
Er zeigt auf den Motorschirmpiloten, der gerade ein paar Meter über uns vorbeibrummt: “Da oben isses wahrscheinlich auch nicht gerade wärmer als hier. Aber vielleicht hat er sich ja die Sackheizung angemacht.”
Ich stelle mir vor, wie er solche Sprüche auf Familienfeiern reißt und alle jedes Mal pikiert ins Leere gucken.
“Letztes Jahr habe ich meine Karre zu Schrott gefahren. Wollte sie eigentlich gerade übern Winter einmotten, letzte Fahrt inner Saison, da steht die Olle da an der Kreuzung. Dachte noch: Na, die wird ja wohl nicht rausfahren, aber da war’s schon passiert. Einmal den Hecht über die Motorhaube gemacht und abgerollt. Mitm Kopp noch gegen ihre Scheibe. Motorrad total im Arsch. Und ordentlich blaue Flecken, aber erst, als ich ausm Krankenhaus raus war.
Und dann die Familie. ‘Du wirst ja wohl nicht mehr fahren’ ham se gesagt und mich doof angeguckt. Ihr kennt mich doch, hab ich gesagt, was glaubt ihr denn?”
Er macht eine Pause, und ich überlege für einen kurzen Moment, ob er mich das gerade gefragt hat.
“‘Die Antwort könnt ihr euch ja wohl denken’ hab ich ihnen gesagt, und dann habe ich mir ein neues Mopped gekauft.” Er grinst. “Mitter Versicherung habe ich alles geregelt, aber aufs Schmerzensgeld warte ich immer noch.”
Ich überlege, ob ich “Die wollen das vielleicht aussitzen” antworten soll oder ob das respektlos wäre.
“Die denken wahrscheinlich, die müssen nur abwarten und können das aussitzen, aber da sindse an den Falschen geraten.”
Das ging ja nochmal gut.
“Na, dann: Viel Erfolg,” sage ich und meine es so. “Ich will dann mal weiter.”
“Wieviel PS hatse denn?”
“67, glaube ich, irgendwie sowas.”
“Jo. Reicht ja auch. Gute Fahrt und schönen Sonntag noch!”
“Danke, gleichfalls!” antworte ich und denke:
Wenn ich mal alt bin, will ich auch so sein. Genau so.
Erinnert ein klein wenig an den Ami, den wir auf einer der kleinen Fähren in Norwegen trafen.
Seine akte K75 hatte auch schon ordentliche Kampfspuren und er war auch schon jenseits der 70.
Kommt jedes Jahr nach Europa um mit dem Motorrad rumzureisen, manchmal auch mit seiner Frau. Er kam grad vom Nordkap und in Russland war er auch schon.
Ich will das alles auch noch machen in dem Alter.