Aus einer Laune heraus habe ich beschlossen, eine Weile mit meinen privaten Accounts auf SocialMedia-Dienste zu verzichten.
Mir ist immer häufiger aufgefallen, dass ich eigentlich gerade zum Beispiel ein Buch lesen möchte und zwischendurch nach ein paar Seiten immer wieder aufs Smartphone gucke. Obwohl ich da gar nichts Besonderes nachzuschauen habe.
Die ständige Ablenkung sorgt dafür, dass ich mich nicht dauerhaft auf eine Aufgabe oder einen Text konzentrieren kann, und da muss ich mal gegensteuern.
Außerdem erwische ich mich ab und zu dabei, dass ich mich über Leute aufrege, die ich nicht kenne, weil sie Dinge posten, die mich nichts angehen.
Also habe ich zunächst folgende Maßnahmen getroffen:
Alle SocialMedia-Apps von der Startseite des iPhones nach hinten in einen Ordner geschoben. Das betrifft Twitter, Instagram und natürlich Facebook.
Alle Benachrichtigungen ausgeschaltet, bis auf diejenigen, bei denen echte Personen mich kontaktieren wollen, also Messenger-Apps wie zum Beispiel Threema, Signal, iMessage etc. Darüber bleibe ich auch weiterhin erreichbar.
Alle entsprechenden Lesezeichen im Browser bzw. Programm-Icons aus dem unmittelbaren Blickfeld entfernt.
Da ich nun aber gerade vor kurzem erst eine Facebook-Seite für meine ehrenamtliche Tätigkeit als städtischer Fahrradbeauftragter eingerichtet habe, wäre es ziemlich widersinnig, die Seite jetzt ebenfalls pausieren zu lassen.
Dieses Dilemma versuche ich aber zu lösen, indem ich eine Chrome-Erweiterung installiert habe, die den Newsfeed auf der Facebook-Webseite ausblendet. So kann ich gezielt als Fahrradbeauftragter posten und kriege trotzdem nicht die ablenkende Timeline angezeigt.
Ich mache das jetzt seit zwei bis drei Tagen so (mit 1-2 Ausnahmen ganz am Anfang) und will das insgesamt 30 Tage lang probieren.
Aus reiner Gewohnheit geht der Griff natürlich nach wie vor zum iPhone, um dann festzustellen, dass ich ja gerade gar nichts auf dem iPhone zu tun habe. Mal gucken, wann das aufhört.
Die ersten Effekte haben sich bereits eingestellt:
Mein Feed-Reader ist fast leer.
Ich kenne jetzt bereits die komplette Wettervorhersage der nächsten fünf Tage.
Meine Liste noch zu lesender Bücher wird immer länger.
Ich bin mal gespannt, ob sich irgendwann das Gefühl einstellt, etwas zu verpassen oder ob genau das eben nicht eintritt. Ob ich das wirklich bis zum Ende durchziehe, wird sich zeigen, und was danach passiert, weiß ich auch noch nicht.
Aber dieser ständige, reflexhafte Griff zum Smartphone soll erstmal aufhören.
Gestern ist mir die Bohrmaschine kaputtgegangen. Eigentlich hatte sie schon länger einen weg, seitdem ich mal vor ein paar Jahren damit beim Aufbau eines Palisadenzauns ein paar Löcher zuviel in offenbar etwas zu harten Beton bohrte und sie damit wohl überfordert habe.
Nachdem ich dann gestern zwei kleine Dübel in die Wand gedübelt hatte, ließ sich der Spannmechanismus für den Bohraufsatz nur noch mit einer Rohrzange lösen. Das klingt jetzt wahnsinnig versiert, im Grunde genommen habe ich von sowas überhaupt keine Ahnung. Wenn mir jemand gesagt hätte, dass da das Schliebengewinde verschlotzt ist und man nur den Schrom abschörbeln müsse: Ich hätt’s geglaubt.
Ich hatte jetzt nicht das übermäßige Bedürfnis nach einem Kauf einer neuen Bohrmaschine, aber es musste noch ein Regal an die Kinderzimmerwand, ich hatte es versprochen.
Also doch nochmal zum Baumarkt.
Die Auswahl an unterschiedlichen Bohrutensilien überforderte mich wiederum, also sprach ich einen Menschen mit einer roten Jacke an. Der war allerdings Gärtner, also einigermaßen fachfremd. Immerhin arbeitete er tatsächlich dort und war in der Lage, per Intercom “jemanden zu den Werkzeugmaschinen” zu rufen.
Kurze Zeit später kam eine relativ kleine, junge Frau “zu den Werkzeugmaschinen”, und ich erklärte ihr mein Problem.
Ich benötigte eine neue Bohrmaschine, wisse aber nicht, was für eine. Meine bisherige, das kraftlose Mistding, würde es zum Beispiel nicht mal mehr durch die Zimmerdecke schaffen. (Tat sie wirklich nicht. Habe ich aber anders ausgedrückt.)
Sie: “Ist das eine Stahlbetondecke?”
Ich: “Keine Ahnung.”
Sie: “Wieviel Watt hatte denn Ihre alte Maschine?”
Ich: “Puh, ja, also, nicht so viel.” Ich zeige auf irgendeine grüne Bohrmaschine. “Vielleicht war’s so eine. Kann aber auch die daneben gewesen sein.”
Und jetzt muss ich mal was loswerden: Im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen, die ich in der Vergangenheit sonst so um baumarktlichen Rat gefragt hatte, war diese Mitarbeiterin zu keinem Zeitpunkt genervt von meiner Unwissenheit, beantwortete auch die blödeste Frage geduldig und erklärte mir alles, was ich für meine Kaufentscheidung wissen musste. [1. Anmerkung für Maskulisten: Man kann sich in einem BAUMARKT tatsächlich als MANN von einer FRAU beraten lassen. Nein, dir fallen davon nicht die Eier ab, keine Sorge.]
Endgültig überzeugt hatte sie mich aber, als sie über die irgendwann favorisierte Bohrmaschine zu mir sagte: “Damit sollten Sie eigentlich auch in die Zimmerdecke bohren können. Und falls nicht, bringen Sie sie mir bitte zurück.”
Es war ihre Maschine. Sie gehörte ihr. Nicht dem Baumarkt. Ich sollte sie im Zweifel nicht einfach zurückbringen, ich sollte sie ihr zurückbringen. Fantastisch.
Naja, jetzt habe ich jedenfalls eine neue Bohrmaschine. Ob sie’s durch die Zimmerdecke schafft, weiß ich nicht, aber ich bin ganz zuversichtlich.
Seit einiger Zeit begegnet mir hin und wieder eine anscheinend relativ neue Methode, ein Notizbuch zu führen und damit seine Aufgaben, Termine und Notizen zu verwalten. So habe ich davon unter anderem beim Kinderdok aber auch auf verschiedenen SocialMedia-Plattformen (z.B. bei Julia) davon gelesen.
Keine Ahnung, was nun genau der konkrete Anlass war, aber seit ein paar Wochen führe ich ebenfalls ein sogenanntes “Bullet Journal“.
Nachdem ich ungefähr acht bis zehn (kein Witz) verschiedene Todo-Web- und -iOS-Apps ausprobiert und etliche Systeme miteinander kombiniert habe, versuche ich meiner Aufgaben wieder ganz old school mit einem Notizbuch Herr zu werden.
Was ist das?
Aber zunächst erstmal eine kurze Erklärung, was ein Bullet Journal eigentlich ist.
Erfunden wurde es von einem New Yorker Produktdesigner namens Ryder Carroll und ist im Grunde erstmal nichts weiter als ein handelsübliches Notizbuch, das man selbst mit Leben füllt und das einer gewissen Methodik folgt, welche sich jedoch individuell anpassen lässt.
Anders als bei einem Terminplaner, den es jährlich neu zu kaufen gibt, legt man sich dabei seine Kalenderseiten selbst an, bzw. verzichtet auf alles, was man nicht braucht.
Die Grundelemente eines Bullet Journals sind:
Der Index, in dem die jeweilige Seitenzahl der nachfolgend beschriebenen Module verzeichnet wird.
Ein “Future Log”, in dem man zukünftige Termine und Aufgaben notiert.
Ein “Monthly Log”, bestehend aus einer Doppelseite, wobei links die Monatsübersicht und rechts die für diesen Monat geplanten Aufgaben festgehalten werden.
Ein “Daily Log”, in dem man fortlaufend (ohne Sortierung) Aufgaben, Ereignisse und Notizen aufschreibt.
Vor die Einträge kommen dabei verschiedene Symbole:
ο Ereignisse
• Aufgaben
– Notizen
Außerdem können weitere “Collections” angelegt werden, also Listen mit zusammengehörigen Dingen, wie zum Beispiel eine Bücherliste, Projektpläne etc.
Üblicherweise schaut man morgens und abends noch Mal in aller Ruhe in sein Journal und hakt Erledigtes ab, bzw. plant den nächsten Tag.
Hat man eine Aufgabe erledigt, macht man aus dem • ein ×.
Am Monatsende geht man hin, schaut durch sein Daily Log und guckt nach, ob noch Aufgaben unerledigt sind. Werden sie auf einen zukünftigen Monat verschoben, wird aus dem • ein < und man trägt sie im Future Log ein (das sich vom Daily Log aus gesehen ja links im Notizbuch) befindet. Sollen sie bald erledigt werden, kommen sie ins neue Monthly Log (im Notizbuch weiter nach rechts) und aus dem • wird ein >.
Sind sie erledigt, wird auch hier ein x daraus. Sind sie gar nicht mehr relevant, streicht man sie inklusive • durch.
Mit den unerledigten Aufgaben des letzten Monthly Log verfährt man genauso und überträgt sie ggf. ins aktuelle Monthly Log. Außerdem trägt man die Einträge im Future Log für den aktuellen Monat in das aktuelle Monthly Log um. Danach ist man fertig für den nächsten Monat. Das Ganze dauert ca. 10-15 Minuten.
Eine kurze Einführung gibt’s im folgenden Video vom Erfinder, ins Deutsche übersetzt von “Leuchtturm1917”, einem Unternehmen, das extra dafür designte Notizbücher herstellt (jedes andere tut’s aber auch):
Ja, ok, Notizbuch, und?
Der wesentliche Unterschied zum bereits erwähnten Terminplaner ist der, dass man sich sein Kalendarium selbst zusammenstellt, je nachdem, wie man es gerade braucht. Sind zum Beispiel die Tage und Wochen eher mit wenigen, dafür aber zeitaufwändigen Aufgaben gefüllt, wird aus dem Daily Log ein Weekly Log, und man schreibt die Aufgaben nur noch wochenweise auf.
Benötigt man eine Trennung zwischen privaten und beruflichen Einträgen oder für verschiedene Familienmitglieder, zeichnet man sich einfach selbst entsprechende Spalten ein oder verwendet einen vertikalen Zeitstrahl, den man jeweils links oder rechts beschriftet.
Im Terminplaner kommt es häufiger vor, dass darin gerne mal einige Seiten leer bleiben, weil man z.B. im Urlaub ist und dort keine Terminplanung machen möchte. Im Bullet Journal macht man einfach an der Stelle weiter, an der man zuletzt aufgehört hat und hält die jeweilige Seitenzahl im Index fest.
Grundsätzlich kann man soviel experimentieren, wie man möchte, ich halte es bisher eher minimalistisch und orientiere mich an der Grundidee von Ryder Carroll.
So sehr lange mache ich das noch nicht, aber ich habe jetzt schon ein paar deutliche Vorteile gegenüber der digitalen Todo-Erfassung feststellen können.
Konzentration aufs Wesentliche
In digitalen Todo-Listen ist im Prinzip Platz für unendlich viele Einträge, was bei mir dazu geführt hat, dass meine Todo-Liste länger und länger wurde, aber aus immer mehr Einträgen bestand, die eine so niedrige Priorität hatten, dass ich sie monate- wenn nicht sogar jahrelang unerledigt mitgeschleppt habe.
Jeden Monat habe ich dann davor gesessen und schlechte Laune bekommen, weil so viele Dinge nicht getan waren. Ich habe mir dadurch zum Teil viel zu viel aufgehalst, weil einfach keine eingebaute Begrenzung da war.
Auf einer A5-Seite ist aber nicht unendlich viel Platz, so dass ich mir jeden Monat genau überlegen muss, was wirklich getan werden muss oder was eigentlich nur ein Eintrag für “Irgendwann-wenn-ich-mal-ganz-viel-Zeit-habe” ist. (Haha, als ob!)
Weniger Aufschieberitis
Was zunächst nach elend viel Schreibarbeit klingt, ist sozusagen das Key-Feature des ganzen Journals:
Nicht erledigte Aufgaben müssen erneut abgeschrieben werden.
Ja, kein Scheiß, ist so.
Das klingt im Zeitalter digitaler Kalender und Todo-Listen komplett bescheuert, wozu sollte man sich die Mühe machen, das jedes Mal wieder abzuschreiben? Man kann doch einfach die Aufgabe auf morgen verschieben und gut ist.
Eben. Weil genau das immer und immer wieder passiert.
Aufgabe nicht erledigt? Ach, egal, mache ich morgen, klick. Und am nächsten Tag kommt man ins Büro, es brennt mal wieder die Luft, man kommt zu nichts, und der komplette Tagesplan ist im Eimer.
Mit dem Bullet Journal ist es mir schon ein paar Mal passiert, dass ich vorm Feierabend noch kurz hineingesehen und mir gedacht habe: “Naja, bevor ich die Aufgabe nochmal neu aufschreiben muss, kann ich sie auch schnell noch erledigen.” Und weg war sie.
Dazu kommt: Wenn ich eine Aufgabe drei Mal übertragen habe, überlege ich mir beim vierten Mal, ob sie wirklich erledigt werden muss, oder ob sie nicht von Anfang an vielleicht falsch formuliert oder von vornherein nicht so wichtig war.
“Freuet euch und seid fröhlich immerdar über das, was ich schaffe.” (Jesaja 65,18)
Anhand der ×-Symbole in meinem Journal kann ich immer sehen, was ich alles wann erledigt habe. Gerade an hektischen Tagen bin ich manchmal nach Hause gekommen, war total kaputt und habe mir gedacht: “Was hat der ganze Stress eigentlich gebracht? Habe ich eigentlich irgendwas auf die Reihe bekommen?”
So kann ich jetzt sehen, was ich den Tag über geschafft habe, manchmal ist das wirklich ganz hilfreich.
Im digitalen Todo-System war die Aufgabe nach dem Abhaken meistens einfach weg, dafür standen noch zehn weitere unerledigt da.
Was digital bleibt: Terminverwaltung
Man kann nicht alles haben. Denn nichtsdestotrotz komme ich nicht drumherum, Termine weiterhin online und gemeinsam mit anderen zu verwalten und so meine verfügbaren Zeiten für Familie und Kollegen sichtbar zu machen. Auch auf Erinnerungen an Termine will ich unter keinen Umständen verzichten.
Ich verwende das Bullet Journal daher so, dass ich am Monats- oder Wochenanfang nur die Termine dort eintrage, auf die ich ggf. hinarbeiten muss, die also einiges an Vorbereitung benötigen.
Die weniger aufwändigen, meist wiederkehrenden Termine führe ich weiterhin vornehmlich digital.
Und unterwegs?
Ich trage jetzt natürlich nicht stets und ständig ein A5-Notizbuch mit mir herum. Das Smartphone habe ich allerdings fast immer in der Tasche. Dafür gibt es nämlich eine recht durchdachte Lösung: Den Bullet Journal Companion.
Das ist eine App, in der man unterwegs (mit derselben Symbolik) Notizen, Todos und Ereignisse aufschreiben kann, die dann aber nach 48 Stunden automatisch gelöscht werden. Dazu gibt es eine Erinnerungsfunktion, so dass man morgens oder abends seine Einträge ins Journal übertragen kann.
Überträgt man sie nicht, werden sie wohl auch nicht so wichtig gewesen sein.
Es ist wirklich komplett simpel, aber es erfüllt seinen Zweck.
In der Companion-App sind außerdem noch ein paar erklärende Artikel zur Methodik, sowie eine Funktion zur Verwaltung der Notizbücher (die man im Laufe der Zeit sicherlich füllt) enthalten.
“Und in die Ecken zeichne ich bei einer schönen Tasse Tee gerne ein paar florale Deko-Elemente”
Wenn man nach “Bullet Journal” im Netz sucht, gelangt man unweigerlich auf Treffer bei YouTube, Instagram oder Pinterest, unter denen vorwiegend weibliche “Bullet Journalists” mit offensichtlich sehr viel Freizeit die Gestaltungsideen in ihren Journalen präsentieren. (“Hallo, Ihr Lieben!”)
Die legen dann keine einfache Liste zu lesender Bücher an, sondern malen gleich ein ganzes Bücherregal (mit Spinnweben und Holzmaserung) in ihr Journal. Oder sie zeichnen für jeden Monat ein Motto-Cover, schnörkeln die Überschriften mit Kalligraphie-Stiften zurecht und verwenden nicht weniger als 12 verschiedene Farben dabei. (“Berufliches ist apricot und meine Wohlfühl-Termine sind malve, dann kann ich das besser auseinanderhalten.”)
Kann man alles machen, muss man aber zum Glück nicht.
Es gibt dennoch durchaus gute und praktische Ideen darunter, wie man sein Journal an seinen persönlichen Workflow anpassen kann.
Ich selbst verwende zum Beispiel eine “Rolling Week”, also einen ca. 2,5 cm hohen Querstreifen unten im Daily Log, den ich in die folgenden sieben Tage unterteile, damit ich bei der Tagesplanung gleich eine Vorausschau auf meine kommenden Termine habe, ohne zum Monthly Log zurückblättern zu müssen.
Und wie schon erwähnt: Wenn sich die Situation ändert, benutzt man einfach auf den Folgeseiten ein anderes System.
Genau das war nämlich auch immer ein Problem bei den meisten Todo-Apps:
Entweder folgten sie einem ziemlich starren Muster a la “Getting Things Done“, das man nur schwer verlassen konnte, wenn die Umstände es erforderten, oder man musste sich seine selbst ausgeklügelte Methodik immer wieder ins Gedächtnis rufen, damit auch ja alles die richtigen Tags, Kontexte, Prioritäten und Fälligkeitstermine erhielt.
Da ist das Bullet Journal nach einiger Zeit wesentlich intuitiver.
Zur Zeit bin ich jedenfalls ganz angetan vom Bullet Journaling und bin mal gespannt, ob ich das länger durchhalte als all die anderen Systeme, die ich bisher ausprobiert habe.
Um die Urlaub habende Frau nicht zu wecken, habe ich mich heute Morgen im Dunkeln angezogen und trage jetzt ein T-Shirt mit V-Ausschnitt unterm Rundhalspullover, was nur so mittelgut aussieht.
Als ich gestern mit zwei Freunden per S-Bahn von Hannover nach Hause fuhr, saß mir ein Anfang-20-jähriger gegenüber, der sich mit seinem Bekannten (der neben mir saß) lautstark darüber unterhielt, welche Karrierelaufbahn er einschlagen wolle.
Eigentlich Examen, aber er wolle erstmal in die USA, das sei total praktisch, wenn man über Dublin einreise, dann hätte man den Einreiseprozess schon dort hinter sich, und dann nur noch nach Los Angeles und von da aus nach Portland, das sei ja ein Katzensprung, total easy, nur halt doof, dass sein Arbeitgeber ihm für’s Examen nicht frei geben würde, da müsste er mal gucken, vielleicht krank feiern oder so, aber man könne ja auch in Frankfurt oder München in eine der Kanzleien einsteigen, das sei nicht das Ding, gerade als Technical Specialist nicht, aber da könne er ja auch gleich in ner Behörde anfangen, neulich jedoch habe er eine “Karrierefrau” getroffen, 33 Jahre, verdient über 120.000 im Jahr, schon ein fettes Gehalt, aber kein Mann, keine Kinder, und dann in einer 2-Zimmer-Wohnung, wo da der Benefit sei, andererseits, dann doch lieber in die Staaten, das politische System sei kein Problem, man wäre da ja dann schließlich als Deutscher, und sein Englisch sei ja absolut einwandfrei.
Meine Mitreisende auf der anderen Seite des Gangs beklagte sich daraufhin in den Waggon hinein, dass der Alkoholkonsum in den Zügen verboten sei und ich pflichtete ihr bei, dass auch ich so langsam einen Schnaps durchaus zu schätzen wisse.
Doch der junge Mann war noch nicht fertig.
Ob er sich auf ‘ne Managementstelle bewerben solle, fragte er sich und seinen Bekannten, der ihm jedoch zusicherte “Mach doch”, und er meinte das auch, schaden könne das ja nicht, und überhaupt, man müsse ja nur kompetent genug sein, zutrauen würde er sich das locker.
Und dann wurden wir Zeugen des denkwürdigsten Satzes dieses Ein-Mann-Wirtschaftswunders, mit dem ihn die Journalisten weltweit, sollte er ihn jemals in ein Mikrofon sprechen, noch jahrzehntelang zitieren werden:
“Ich weiß zwar nicht, was die da machen, aber gib mir zwei Wochen, dann läuft der Laden.”
Dann kam seine Haltestelle, er verabschiedete sich, stieg aus und ging hinaus in die Dunkelheit der von ihm bewohnten 4000-Einwohner-Ortschaft.
Hätte ich gewusst, was für eine zukünftige Spitzenkraft mir da abends in der S-Bahn gegenübersitzt, wahrscheinlich hätte ich mich vorher schicker angezogen.