Mein Rennrad fährt jetzt viel schneller – nur halt ohne mich

Früher™ war ich viel auf dem Rennrad unterwegs, aber ich hatte nach nun etwa acht Jahren keine große Lust mehr auf befahrene Landstraßen oder nebeneinander hergurkende Pedelec-Renter auf benutzungspflichtigen Radwegen. Irgendwann kannte ich so ziemlich alle in Frage kommenden Routen in der Region, und das war mir schließlich zu eintönig, daher habe ich mir ein sogenanntes „Gravel-Bike“ zugelegt.

Von weitem sieht diese Art von Fahrrädern zwar auch aus wie ein Rennrad, ist aber geländegängiger. Nicht nur durch die in der Regel dickeren, mit Profil versehenen Reifen, sondern auch durch den breiteren Lenker, dessen Untergriffe ein wenig nach außen gebogen sind. Dazu kommt eine Rahmengeometrie, die dafür sorgt, dass man etwas aufrechter sitzt.

Irgendwelche Durchschnittsgeschwindigkeiten oder Trainingserfolge waren mir mittlerweile egal – ich wollte einfach nur nach Feierabend oder am Wochenende eine Runde auf dem Rad drehen und dabei möglichst meine Ruhe haben, indem ich vielleicht die eine oder andere Route abseits der Straße nehme.

Das Rennrad brauchte ich also nicht mehr wirklich, und ich fasste den eher unkonkreten Entschluss, es demnächst zu verkaufen. Ich würde es noch ein wenig reinigen müssen, vor allem einmal gründlich die Kette, aber alles in allem würde ich es wahrscheinlich schon loswerden.

Mir grauste zwar vor Verhandlungen auf kleinanzeigen.de, aber zum Glück kam es anders, nämlich so:

Schon bei meiner zweiten oder dritten Ausfahrt mit dem Gravel-Bike fuhr ich vor gut drei Wochen durch ein Waldstück. Auf dem Weg vor mir ging ein Fußgänger mit seinem Hund entlang, und als ich schließlich näher kam, erkannte ich die Person wieder – es war ein Bekannter von früher, mit dem ich zu Schul- und Zivildienstzeiten viel rumgehangen hatte.

Ich grüßte und fuhr erst vorbei, aber weil der Weg plötzlich sehr steil anstieg, musste ich absteigen und erstmal durchatmen.

So kamen wir kurz ins Gespräch, und er fragte mich: „Sag mal, du kennst dich doch mit Fahrrädern ein bisschen aus, mein Sohn würde gerne mit dem Rennradfahren anfangen, weißt du, bei welcher Preisklasse man da am besten einsteigt und wo man vielleicht eins kaufen kann?“

Mir fiel natürlich direkt mein Rad ein und fragte: „Wie groß ist der denn?“

„Ziemlich für sein Alter. Ungefähr so groß wie du.“

„Dann kann er vielleicht meins übernehmen.“ Ich überschlug kurz, wie lange ich das Rad schon hatte und nannte einen (wirklich geringen) Preis, der auf Zustimmung stieß.

„Na, dann lass uns die Tage mal treffen.“

Und tatsächlich: Wenige Tage später kamen die beiden vorbei, der Sohn setzte sich auf mein altes Rennrad, und wenn irgendwo der Begriff „perfect match“ gepasst hat, dann da. Als wäre das Fahrrad für ihn gemacht worden, wir mussten nicht mal die Sattelhöhe verändern. Selbst die Klickpedalschuhe passten ihm auf Anhieb.

Ich musste ihm zwar erst erklären, wie das mit den Klickpedalen funktioniert, weil er noch nie mit welchen gefahren war, aber ich hatte relativ bald den Eindruck, dass er damit schon zurecht kommen würde.

Ich habe ihm ein bisschen Zubehör mitgegeben, das ich jetzt ohne das Rennrad nicht mehr brauchte, wie zum Beispiel die Schuhe (fürs Gravel-Bike habe ich andere), Ersatzreifen und -schläuche, sowie passende Trinkflaschenhalter in Rahmenfarbe.

Ein bisschen Wehmut hatte ich zwar schon, mein Rennrad wegzugeben, weil ich darauf immer viel Spaß hatte, aber zum einen brauchte ich es ja wirklich nicht mehr, und zum anderen machte der junge Mann einen so glücklichen Eindruck, als er mit seinem neuen Sportgerät von dannen zog, dass ich schon ahnte, das Rad in dankbare Hände gegeben zu haben.

Und so hatte ich gerade noch überlegt, ob ich mal beim Vater nachfrage, ob alles in Ordnung ist, da ergab es sich, dass ich heute zufällig einen gemeinsamen Bekannten traf, der ganz in der Nähe von den beiden wohnt.

Dem erzählte ich von dem Verkauf, ja, das hätte er mitbekommen, doch was er daraufhin berichtete, ließ bei mir dann endgültig jeden Zweifel verblassen:

Dieser Junge, der bis vor zwei Wochen noch nie ein eigenes Rennrad besaß, geschweige denn jemals mit Klickpedalen gefahren ist, hat am vergangenen Wochenende offenbar kurzerhand bei den Cyclassics in Hamburg teilgenommen (!) und ist auf meinem acht Jahre alten Alu-Rennrad mit lauter Einsteiger-Komponenten eine Durchschnittsgeschwindigkeit gefahren, die ich in meinem ganzen Leben nie erreicht habe und auch nicht mehr erreichen werde.

Und wenn dieses Naturtalent irgendwann mal im gelben Trikot fährt und berühmt ist, werde ich jedem, der es nicht hören will, erzählen, dass ich es war, der ihm damals sein erstes Rennrad verkauft hat. Inklusive Klickpedalschuhen. Und Trinkflaschenhaltern in Rahmenfarbe.

5 Gedanken zu “Mein Rennrad fährt jetzt viel schneller – nur halt ohne mich

  1. Als bekennender Pedelec-Rentner bin ich mal so frei und stoße ins gleiche Horn.
    Auch wir freuen uns über jeden Rennradfahrer, der, wie von der Tarantel gestochen über die Radwege, Fahrradtrassen oder beispielsweise hier am Baldeneysee langballert, als gäbe es kein Morgen mehr. Da wird man wenigstens vor Schreck aus seiner Lethargie gerissen und merkt für einen Moment, dass noch Leben in einem steckt. Autofahrer, Fußgänger und Hundebesitzer sind ja auch so ein Ärgernis. Sogar für uns Pedelec-Rentner. Aber das würde jetzt den Rahmen sprengen.
    Vielleicht würde ein wenig mehr Akzeptanz und Rücksichtnahme uns allen gut tun. Leider habe ich das Gefühl, dass das Gegenteil inzwischen die Regel ist. Stattdessen regen wir uns über Menschen auf, die wir vorher sorgfältig in irgendwelche Schubladen gesteckt haben. Welchen Sinn macht das? Was haben wir davon?
    Dass der Junge mit deinem alten Rad soviel Spaß und jetzt schon Erfolg hat, ist doch eine super Sache. Besser, als wenn du es über Kleinanzeigen an irgendwen verkauft hättest. Das ist übrigens auch nicht meins.
    In diesem Sinne … bis die Tage und viel Spaß mit dem neuen bike. Pedelecs forever 🤘🤘🤘😎😉

    1. Nichts gegen Rentner auf Pedelecs. Ich bin zwar kein Rentner, aber Pedelec fahre ich selber auch.

      Du hast allerdings das wohlweislich genannte „nebeneinander hergurkende“ unterschlagen. Und das ist leider eine wiederkehrende Beobachtung, dass diese Pedelec-Pärchen nebeneinander auf einem eh schon zu schmalen Radweg fahren und sich überhaupt nicht vorstellen können, dass da jemand schneller sein könnte als sie, und sei es nur jemand, der statt 25 km/h vielleicht 27 km/h fährt (was für ein Rennrad nichtmal sonderlich schnell ist).

      Dann klingelt man, und trotz Rückspiegel wird sich erst noch dreimal umgedreht, bevor einer von beiden mal auf die Idee kommt, sich nach hinten fallen zu lassen. Wenn überhaupt. (Schneller kann meist keiner mehr von beiden fahren, weil sie schon auf Anschlag unterwegs sind.)

      Ich habe noch nie – wirklich noch nie – erlebt, dass von diesen nebeneinander fahrenden Pedelec-Pärchen mal jemand rechtzeitig in seinen Rückspiegel schaut und von sich aus (!) Platz macht.

      Ich habe auch kein Problem damit, abzubremsen, wenn langsamere Radfahrer vor mir sind, wie gesagt, Durchschnittszeiten interessieren mich nicht mehr.

      Aber wenn ich wirklich jedes Mal mehrfach klingeln und dann die Leute sogar ansprechen muss, damit sie reagieren, weil sie nicht in der Lage sind, auf andere Verkehrsteilnehmer im wahrsten Sinne des Wortes Rücksicht zu nehmen, dann ist es leider auch mit meiner Akzeptanz vorbei. Und dann fahre ich lieber über Feld- und Schotterwege, da trauen die sich nämlich nicht hin.

      Wenn der Radweg es nicht hergibt, sollen sie halt hintereinander fahren, so kompliziert ist das nun nicht.

      Aber eigentlich wäre das ein Thema für einen eigenen Blogbeitrag. Falls Du Dich nicht zu dieser beschriebenen Kategorie zählst, wunderbar, dann warst Du nicht gemeint.

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