Bildergeschichten 2 – Jagen und Fischen

Moin
„Moin“

Das Foto ist auf dem Weg morgens zur Arbeit entstanden. Ich bin etwas früher raus, um einen Umweg durch die Innenstadt zu laufen, außerdem hatte ich mich ein wenig vorbereitet, indem ich die App „SunSeeker“ verwendet habe, um herauszufinden, wann morgens die Sonne in welchem Winkel in die kleineren Gassen von Hameln scheint. 

Als ich schließlich diese Sonneneinstrahlung entdeckte, die noch dazu durch Reflexionen der gegenüber (hier in meinem Rücken) liegenden Fensterfront angestrahlt wurde, blieb ich stehen und stellte mich auf das sogenannte „Fishing“ ein. 

Bei der Streetfotografie gibt es zwei grundlegende Vorgehensweisen. Beim „Hunting“ läuft man mit stets auslösebereiter Kamera durch die Gegend und wartet auf den einen entscheidenden Moment, den besonderen Gesichtsausdruck oder die eine herausragende Szene und drückt (hoffentlich rechtzeitig) ab. Es entsteht der klassische Schnappschuss.((Eigentlich mag ich diese „Schuss“-Allegorien in der Fotografie nicht besonders. Eine Kamera ist keine Waffe. Aber manche Begriffe haben sich nunmal gefestigt.)) Diese Technik eignet sich besonders gut bei größeren Menschenansammlungen, in denen man mit der Kamera nicht besonders auffällt und wo die Wahrscheinlichkeit, dass irgendwas Fotografierenswertes eintritt, allein durch die Zahl der umherlaufenden Menschen steigt.

Beim „Fishing“ hingegen postiert man sich an einer besonderen Stelle, die – zum Beispiel durch markantes Licht – verspricht, einen guten Bildhintergrund abzugeben. Dort wartet man dann nur noch auf den passenden Protagonisten, der diese Szenerie durchquert – wie ein Angler, der wartet, dass etwas anbeißt. Die Fishing-Methode eignet sich einerseits gut für weniger stark frequentierte Orte, wird aber insbesondere von weniger offensiven Fotograf*innen gerne verwendet, die – wie ich – sich scheuen, einfach so fremden Menschen eine Kamera ins Gesicht zu drücken. 

Nachteil dieser Methode: Wenn Menschen, die auf die Szene zukommen, die Kamera bemerken, sind viele so höflich und warten, bis man sein Foto von dieser „herausragenden Sehenswürdigkeit“ gemacht hat. Dabei sind sie es ja, die das Bild eigentlich vervollständigen sollen. In der Regel kann man sie dann aber freundlich ermuntern, ruhig weiterzugehen und das Bild dann trotzdem machen.

In diesem Fall stand ich also bereit und bemerkte aus dem Augenwinkel, dass sich ein Krankenfahrstuhl näherte. Als er ins Bild rollte, begann ich, auszulösen, da rief mir der Fahrer ein lautes „MOIN!“ entgegen. Ich grüßte zurück und hatte mein Foto. Ihn hat es nicht weiter bekümmert, und er fuhr unbeeindruckt die Fußgängerzone hinunter.

Am Foto musste ich kaum etwas editieren, daher verzichte ich diesmal auf das Original.

Bildergeschichten 1 – Snap Focus

Scooter
„Scooter“

Das war eines der ersten Fotos, die ich mit der Ricoh GR III gemacht habe. Die GR hat ein Feature, weshalb sie für die Street Photography1 besonders geeignet ist: Snap Focus.

So ziemlich jede moderne Digitalkamera hat einen Autofokus, der in der Regel so funktioniert: Man drückt den Auslöser halb durch, dadurch stellt die Kamera auf den gewünschten Fokuspunkt scharf. Ist das erledigt, drückt man den Knopf ganz durch und macht das Foto. Allerdings dauert das Fokussieren je nach Kamera ein wenig, wenn auch mittlerweile selten länger als einen Sekundenbruchteil.

Das kann gerade für schnelle Schnappschüsse aber immer noch zu lang sein, deshalb stellen manche mit dem manuellen Fokus einen sogenannten „Zonenfokus“ ein. Dabei wird – für einen größeren Schärfebereich – eine etwas kleinere Blendenöffnung gewählt und ungefähr abgeschätzt, in welcher Entfernung die Motive sich wahrscheinlich aufhalten werden. Darauf stellt man dann den manuellen Fokus ein, und erhält so einen Schärfebereich von etwas vor dem Motiv bis unendlich. Alles was sich in dem Bereich befindet, ist also ausreichend scharf.

Der Snap Focus der Ricoh-GR-Serie ist eine Mischung aus beidem. Zunächst stellt man die gewünschte Zonenfokus-Entfernung ein, zum Beispiel ca. 3.5 Meter. Dann versetzt man die Kamera in den Snap-Focus-Zustand.

Die Kamera arbeitet in normalem Autofokus-Modus, drückt man aber den Auslöser direkt bis zum Anschlag durch, stellt sich die Kamera sofort auf den voreingestellten Fokusabstand ein und löst aus, springt also von Autofokus direkt in den Zonenfokus. 

So kann man spontan auf Motive reagieren, die sich schnell auf die Kamera zu oder von ihr weg bewegen.

So war es auch bei diesem E-Scooter-Fahrer, dem ich morgens auf dem Weg zur Arbeit begegnet bin. Der kam mir auf dem linksseitigen Weg entgegen, machte dann direkt vor mir einen U-Turn und fuhr direkt die Rampe herunter. 

Ich drückte direkt ab und erwischte ihn in einer schön dynamischen Linksneigung. 

Für Bildkomposition war da dann nicht mehr so viel Zeit – zumal ich mit der Kamera ja auch erst umgehen lernen musste – so dass das Original im Querformat aufgenommen wurde und ich es erst später ins Hochformat beschnitten habe. Dabei habe ich dann gleich noch den kleinen sichtbaren Teil einer Straßenlaterne im Hintergrund weggestempelt, weil der vom eigentlichen Motiv ablenkte.

  1. Ihr werdet es noch häufiger erleben, dass ich wechselweise „Street Photography“, „Straßenfotografie“ und sogar „Street Fotografie“ verwende. Einen besonderen Grund hat das nicht, wobei ich Straßenfotografie eher selten benutze, weil das in meinem Kopf danach klingt, als würde jemand ein Stück Asphalt fotografieren. []

Bildergeschichten

Wie den meisten nicht entgangen sein dürfte, habe ich meine Blogtätigkeit zugunsten meiner Fotografien hier weitestgehend eingestellt. Aber eigentlich muss das ja gar nicht sein, dachte ich mir neulich, warum nicht beides miteinander verbinden und vielleicht ein paar Worte zur Entstehung einzelner Bilder schreiben?

Ich werde wahrscheinlich nicht jedes Foto vorstellen, so viel zu erzählen gibt es bei vielen auch gar nicht, aber möglicherweise ist manches Detail für die eine oder andere Leserin doch interessant. Und wenn nicht, habe ich meine Fotos halt einfach alle nochmal gezeigt, ist ja auch nicht schlimm.

Ich habe früher – so vor 20 Jahren – schon mal sehr viel fotografiert, meistens Motive, die nicht weglaufen: Landschaften und Architektur. Weil mir das irgendwann zu langweilig wurde und ich irgendwie zu faul war, immer weiter weg zu fahren, um neue Eindrücke zu gewinnen, schlief das ganze erstmal ein.

Als ich dann Anfang des Jahres nach Innsbruck in den Urlaub fuhr, habe ich meine Fujifilm X20 mitgenommen, die lange in der Schublade lag, aber aus irgendeinem Grund machte mir die Kamera keinen Spaß. Ich brauchte einen neuen Anreiz, stöberte eines Abends nach gebrauchten Kameras und fand eine Panasonic FZ300, die ein Fotogeschäft in Innsbruck für 200 € anbot. 

Da kann man nicht viel mit falsch machen, dachte ich mir, kaufte die Kamera und war erstmal begeistert, weil sie so viel mehr konnte und schneller war als meine Fujifilm. 

Im Urlaub gibt’s immer was zu fotografieren, aber mir war recht bald klar, dass es dabei ja nicht bleiben konnte, also sah ich verschiedene YouTube-Videos zum Thema, bis ich schließlich bei der Street Photography (oder Straßenfotografie) hängen blieb. 

Ich mochte auf Anhieb den Schwarz-Weiß-Look einiger Fotografen und fing an, mich näher mit dem Thema zu beschäftigen.

Was darf man fotografieren? (So ziemlich alles.)
Was macht ein gutes Street Foto aus? (Dazu später mehr.)
Wie geht man damit um, wenn man angesprochen wird? (Freundlich bleiben, im Zweifel Foto löschen.)
Was für eine Kamera braucht man? (Street Fotografie geht mit jeder Kamera. Aber.)

Was ich jedoch auch schnell feststellte: Die Kamera, die ich mir gebraucht im Urlaub gekauft hatte, war nur so mittelgut für diesen Zweck geeignet. Sie war ziemlich groß, ich fiel also recht schnell zu sehr damit auf, um ungestellte Fotos auf der Straße machen zu können. Der Zoom war zwar gewaltig, aber zum einen ziemlich träge, zum anderen verleitet so ein Zoom dazu, nicht Teil des Geschehens zu werden, sondern die Dinge von außen zu betrachten – und das sieht man den Fotos leider an. 

Ich bestellte also eine der Street Kameras schlechthin: Eine Ricoh GR III. Schnell, klein, hohe Auflösung, Festbrennweite, Weitwinkel. Supercool.

Damit begann meine Street Fotografie. Und wie die aussieht, zeige ich hier am Beispiel einiger Fotos in den nächsten Tagen und Wochen.

Nicht mehr auf Twitter

Ich war auf Twitter schon lange nicht mehr besonders aktiv, meinen Account dort habe ich weitestgehend geschlossen, seitdem dieser selbstverliebte Irre den Laden übernommen hat.

Jetzt hat er den ganzen Bums auch noch umbenannt, und ich habe den Account endgültig deaktiviert. Ich verstehe nicht, wie man es da noch aushält.

Sollte euch dort also ein @larsreineke begegnen: Ich bin’s nicht (mehr).

’nen weichen Keks

ding-dong

Ich werde wach. Habe ich das gerade geträumt, oder hat es tatsächlich an der Tür geklingelt? Wie spät ist es eigentlich? 3 Uhr nachts. Mist. Hoffentlich kann ich wieder einschlafen.

ding-dong

Da klingelt ja wirklich jemand. Fuck. Die Nachbarn? Polizei? Feuerwehr? Brennt’s irgendwo? Werden wir evakuiert?

Ich schalte das Licht ein, ziehe mir schnell eine Jogginghose an und gehe barfuß nach unten. Ich öffne – immer noch etwas verschlafen – die Tür.

Davor steht eine dünne, mindestens 80 Jahre alte Frau, nur mit einer Stoffhose und einer Strickjacke bekleidet und zittert.

„Ich … ich war mit dem Hund unterwegs,“ erzählt sie wimmernd, „und plötzlich war der weg, ich wohne da hinten, aber da ist jetzt die Tür zu, da macht keiner auf, mein Mann auch nicht, der ist auch nicht da, ach, ich weiß auch nicht, ich hab schon nebenan geklingelt, da hat keiner aufgemacht, kann ich bei Ihnen vielleicht warten, bis es hell wird?“

Oha.

Ich bin jetzt hellwach und erfasse die Situation. Wir wohnen in unmittelbarer Nähe zu einem Seniorenheim, und wahrscheinlich ist die Frau eine entwischte Bewohnerin, etwas durcheinander und orientierungslos. Ist das schon Demenz? Keine Ahnung. Alleine kann ich die jedenfalls nicht Richtung Seniorenheim schicken, da kommt die in dem Zustand nie an.

„Na, kommen Sie erstmal rein.“

Ich führe sie ins Haus, vorsichtig durch den Flur, zum Esstisch. „Setzen Sie sich mal lieber hin,“ sage ich und deute auf einen freien Stuhl. „Wie heißen Sie denn?“ frage ich sie.

„Wessel. Wessel heiße ich. Haben Sie vielleicht ein Taschentuch? Jetzt läuft mir auch noch die Nase.“

„Hier bitteschön, aber jetzt setzen Sie sich erstmal.“ Auf dem Stuhl daneben liegt der Kater und schläft völlig ungerührt. Ich hoffe, dass sie nicht allergisch ist oder vielleicht sogar Angst vor Katzen hat. „Wir haben zwei Katzen, ich hoffe, das macht Ihnen nichts.“

„Katzen? Nein, nein, ich mag Katzen.“

Mittlerweile ist auch meine Frau unten angekommen und schaut mich fragend an. Ich deute mit den Augen in die Himmelsrichtung, wo das Seniorenheim liegt und artikuliere stumm: „Von nebenan.“ Sie nickt und setzt sich zu Frau Wessel.

Ich gehe nach oben, ziehe mir Socken an, greife zum Telefon und suche die Nummer des Seniorenheims heraus. Nach nur einmal Klingeln geht jemand ran.

„Seniorenheim Weserblick, Schwester Melanie.“

„Lars Reineke, guten Morgen. Vermissen Sie vielleicht eine Bewohnerin? Frau Wessel?“

„Frau Wessel? Ja, was ist denn mit ihr?“

„Die sitzt gerade bei uns unten am Esstisch und scheint nicht wirklich zu wissen, wo sie hingehört. Ich würde sie ja zu Ihnen bringen, aber ich habe Sorge, dass sie auf dem Weg Angst bekommt, weil sie uns ja gar nicht kennt.“

„Ach Gott, Entschuldigung, ich kann jetzt hier gar nicht weg, aber ich sage sofort einer Kollegin bescheid, die kommt gleich zu Ihnen. Wo wohnen Sie denn?“

Ich gebe ihr die Adresse, ziehe mir Schuhe an, gehe wieder nach unten und nicke meiner Frau zu, die sich bereits mit Frau Wessel unterhält. „Es kommt gleich jemand und bringt Sie nach Hause,“ sagt sie zu ihr.

Ich gehe nach draußen und treffe an der Straße die Altenpflegerin.

„Das tut mir sehr leid,“ entschuldigt sie sich auf dem Weg zu uns, „Frau Wessel hat sich wohl einfach rausgeschlichen. Vielen Dank, dass Sie sich gekümmert haben.“

„Naja, Sie können nichts dafür,“ antworte ich, „es ist ja kein Gefängnis.“

„Ja, aber trotzdem, nachts um drei.“

„Halb so wild,“ sage ich, „hier sind wir schon.“

Ich öffne der Altenpflegerin die Haustür und führe sie zur Essecke, wo sich Frau Wessel und meine Frau angeregt zu unterhalten scheinen.

„Frau Wessel! Was machen Sie denn für Sachen!?“

„Och, ja, ich weiß auch nicht…,“ antwortet sie kleinlaut, lässt sich aber bereits von meiner Frau und der Pflegerin in die Senkrechte helfen.

Sie schaut mich an: „Was haben Sie denn für Hobbies? Rudern Sie?“

„Ich? Nein. Aber ich fahre gern Fahrrad.“

„In meiner Familie wird viel gerudert.“

„Ach so.“

„So, Frau Wessel,“ unterbricht die Pflegerin, „jetzt ist aber auch mal gut. Sie können doch nicht mitten in der Nacht die Leute auf Trab halten!“

„Ach, das wollte ich wirklich nicht. Manchmal hat man einfach ’nen weichen Keks,“ sagt sie, während sie zur Haustür hinausgeführt wird.

Recht hat sie, denke ich.

„Kein Problem, alles halb so schlimm. Machen Sie’s gut, Frau Wessel.“

Wir gehen nach oben und legen uns wieder hin. Eine Weile liege ich wach, dann schlafe ich doch nochmal ein.

(Anmerkung: Das ist alles heute Nacht genau so passiert. Die Namen habe ich selbstverständlich geändert.)